Todeseis
anderen Kammern. Das Schiff kann sich auch über Wasser halten, wenn eine Kammer vollgelaufen ist.«
»Hoffentlich hast du recht«, sagte Gladys. »Mrs. Widener hat mir noch einmal bestätigt, dass Kapitän Smith zu ihrem Abendessen in das Restaurant kommen wird. Ich werde ihm sagen, was ich von der Sache halte.«
Nicht lange, nachdem Gladys die Kabine ihres Geliebten verlassen hatte, lief ihr Raubold über den Weg. Der Blick, mit dem er sie bedachte, enthielt einen mit Anstrengung zurückgehaltenen Vorwurf und bestätigte ihre Vermutungen in Bezug auf das Gerede der Passagiere.
»Ich dachte, Sie hätten zu Hause einen Gatten«, sagte Raubold.
Sie wollte nicht, dass Raubold schlecht von ihr dachte. Bei den anderen Passagieren war es ihr egal, nicht aber bei ihm.
»Es tut mir leid, Mr. Raubold«, entgegnete sie, »ich habe Sie genauso wie alle hier an Bord an der Nase herumgeführt. Ich musste es tun, um mich zu schützen. In Wahrheit bin ich nicht verheiratet. Der Mann, mit dem ich die Reise machen wollte, war nur so etwas wie mein Verlobter – ach was, nicht einmal das. Er lebt nicht mehr, aber ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass er mir noch etwas bedeutet.«
Raubold nickte, und Gladys sagte sich, dass es wirklich das Beste wäre, wenn Roger Carran und sie offensiv zu ihrer Verbindung standen; für Geheimniskrämerei gab es schlicht keinen Grund.
»Ich habe diese Reise unternommen, um meinem alten Leben zu entfliehen«, fügte sie hinzu. »Und ich habe ein neues Leben gefunden, schneller, als ich es für möglich hielt.«
»Sind Sie wirklich sicher, Mrs. Appleton?«
»Vollkommen sicher.«
»Sie haben einen neuen Liebsten?«
»Ja, es ist Roger Carran – und diesen Mann liebe ich. Ich kenne ihn erst seit vorgestern, und doch ist es so! Mögen Sie mich auch für verrückt halten, Mr. Raubold. Aber ich habe endlich gefunden, wonach ich suchte.«
Raubold nickte.
»Ich verstehe. So etwas kommt vor. Mir ging es am Tag der Abreise ganz ähnlich …«, er wurde unsicher und zögerte, bevor er hinzusetzte, »als ich Sie erblickte. Ich vermutete natürlich, dass Sie einen Gatten oder wenigstens einen Liebsten haben, und als ich erfuhr, dass Sie verheiratet sind, dachte ich: Alfred Raubold, du hast es ja geahnt, nimm es nicht so schwer, wenn ich auch gehofft hatte, es könnte anders sein. Wenn es denn so ist, wie Sie sagen, dann wünsche ich Ihnen viel Glück.« Er sah sie an, und sie bemerkte den Schimmer in seinen Augen. »Ich meine das wirklich so«, sagte er. »Ich wünsche Ihnen alles Glück dieser Erde. Sie haben es verdient.«
Gladys spürte, dass er es ehrlich meinte.
»Sie sind ein guter Mann, Mr. Raubold«, sagte sie. »Und ein echter Mann. Sie müssen nur so bleiben, wie Sie sind, und Sie werden das Glück finden, das Sie nicht weniger verdient haben als ich.«
»Danke Mrs. Appleton«, sagte er und wischte sich über die Augen. »Nun ist es aber gut, ich will einmal sehen, was es zum Abendessen gibt. Wir sehen uns um neun Uhr auf dem Ball?«
»Ja, ich komme gewiss. Es gibt noch eine andere Einladung, aber bis neun Uhr werde ich den Empfang bei den Wideners hinter mich gebracht haben.«
Sie traf pünktlich auf der Abendgesellschaft ein, zusammen mit den meisten anderen Gästen. Kapitän Smith saß bereits am Tisch.
Die Gäste waren eine erlesene Runde, unter denen sich auch die Thayers und die Hays befanden. Während des Abendessens saß Gladys neben Mrs. Thayer. Der Kapitän gab Anekdoten zum Besten, um die Passagiere zum Lachen zu bringen, und Gladys wartete, bis der geeignete Moment gekommen war.
»Mr. Ismay hat mir heute Mittag eine Eiswarnung gezeigt, die er kurz davor von Ihnen erhalten hat«, sagte sie zu Kapitän Smith, als das Essen beendet war und der Kapitän sich eine Zigarre angezündet hatte. »Aber ich kann nicht feststellen, dass die Geschwindigkeit des Schiffes herabgesetzt worden wäre.«
»Das ist nicht nötig, schöne junge Lady«, sagte Kapitän Smith und blies einen Schwall Rauch in die Luft, »das Wetter ist klar, die Sicht vortrefflich.«
»Wann wird die Titanic New York erreichen?«
»Wenn alles gut geht, laufen wir am Dienstagnachmittag in den Hafen ein.«
»Das wäre aber schade«, sagte Gladys.
Kapitän Smith zog die Augenbrauen hoch.
»Dann hätten wir ja nur noch zwei Nächte auf dem Schiff. Von mir aus kann die Reise ruhig bis Donnerstag dauern.«
Smith lächelte.
»Nun, es freut mich, dass es Ihnen an Bord so gut gefällt, dass Sie gar nicht in
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