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Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernward Schneider
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Stimmung war fröhlich, allenthalben herrschte gute Laune, und Gladys fühlte sich wunderbar. Die Zukunft leuchtete wie ein heller Stern vor ihr auf.
    Fast eine Stunde lang tanzte sie ununterbrochen, dann kehrte sie an den Tisch zurück, und Raubold setzte sich wieder neben sie. Die Gespräche drehten sich um die Ankunft der Titanic in New York.
    »Zwei Nächte noch, dann sind wir am Ziel«, sagte Rau­bold und erzählte Gladys von dem neuen Woolworth Building in New York, das Frank Woolworth, der Gründer der Ladenkette, die seinen Namen trug, mitten in den Bauarbeiten hatte aufstocken lassen, damit es den vor zwei Jahren errichteten Metropolitan Tower überragen und bei seiner Fertigstellung eine Höhe von 240 Metern erreichen würde.
    »Unglaublich«, staunte Gladys, »wie es wohl ist, von dort oben auf die Stadt hinunterzusehen? Wie klein müssen einem die Menschen erscheinen! Sie müssen mit mir zusammen den Metropolitan Tower besteigen, damit ich eine Vorstellung davon bekommen kann.«
    Gladys trank zum stillen Wasser einen rabenschwarzen Mokka. Raubold nahm, wie die meisten Männer es taten, einen Highball, Whiskey mit heißem Wasser, zu sich. An einem der anderen Tische erblickte sie Garfield. Sie wünschte sich sehr, dass Roger käme, doch sie hatte keine große Hoffnung, dass er sich rechtzeitig sehen lassen würde, um die Feier zusammen mit ihr zu genießen. Spätestens um Mitternacht lösten sich solche Bordgesellschaften gewöhnlich auf. Raubold entschuldigte sich mit der Bemerkung, er müsse sie für ein paar Augenblicke verlassen, und nachdem er sich entfernt hatte, saß sie allein und war froh, dass sie nach ihren ausgelassenen Tänzen für eine Weile in Ruhe gelassen wurde.
    Zwei, drei Minuten vergingen, dann berührte jemand von hinten ihre Schulter, und als sie sich umdrehte, erblickte sie Nevil, den Kabinensteward, der sich verhalten ein Stück zu ihr herabbeugte.
    »Mr. Carran schickt mich zu Ihnen«, flüsterte er ihr zu. »Er bat mich, Ihnen auszurichten, Sie möchten ihn in seiner Kabine aufsuchen.«
    Gladys war glücklich, von ihrem Liebsten zu hören, und lächelte dem Steward dankbar zu.
    »Vielen Dank, Nevil.« Kurz dachte sie daran, sich bei ihm zu entschuldigen, weil sie ihm gestern die Tür ihrer Kabine vor der Nase zugeschlagen hatte, aber Nevil war schon wieder davongeeilt.
    Sie blickte auf die schmale Uhr, die ihr Armgelenk zierte. Es war eine Viertelstunde vor elf. Der Ober brachte ihr einen zweiten Mokka, den sie vor fünf Minuten bestellt hatte. Sie nippte daran und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Der Ruf ihres Geliebten hatte sie innerlich erbeben lassen, sie sehnte sich so sehr nach seiner Gesellschaft, dass sie am liebsten sofort losgelaufen wäre. Die Stunden ohne ihn kamen ihr viel zu lang vor. Obwohl sie wusste, dass er nicht weit weg war, ertrug sie es kaum noch, wenn sie ihn nicht neben sich spürte. Sei keine Närrin, Gladys, dachte sie, das ist das Schicksal der frisch Verliebten, in einigen Wochen ist das vorbei. Aber sie wusste, dass es nicht so sein würde. Etwas in ihr glaubte nicht daran, dass es jemals wieder anders kommen würde, sondern hielt daran fest, dass ihre Liebe zu Roger etwas ganz Besonderes war.
    Sie trank einen Schluck von dem Kaffee und spürte das Gemisch von Unruhe und Vorfreude, das sich warm in ihr ausbreitete. Eigentlich war es unglaublich, dass sie erneut sexuelles Sehnen empfand, aber die intensiven Liebeserlebnisse der vergangenen Stunden hatten ihre Energien nicht erschöpft, sondern beflügelt, und es war ihr, als hätte sich in ihrem Leben alles regelrecht auf den Kopf gestellt.
    Aber war es wirklich das Sexuelle, wonach sie sich sehnte? War das Erotische, wenn sie mit Roger zusammen war, nicht nur ein untergeordneter Teil dieser fantastischen Süße, die Körper und Geist beflügelte? Dieses Gefühl, das ihre Liebe zu Roger durchwehte, ging über alles hinaus, was sie kannte. Eine Liebe, die so süß war, dass sie den Tod überwand. Sie verscheuchte den Gedanken und sah sich nach Raubold um, von dem sie sich vorsorglich verabschieden wollte, weil sie nicht wusste, ob sie mit Roger zusammen noch einmal auf den Ball zurückkehren würde; doch sie erblickte ihn nicht. Sie trank ihren Mokka aus und verließ den Tisch, dann entfernte sie sich durch die Tür des Rauchsalons in den Gang, von dem aus eine Treppe hinauf zum Freideck führte. Der Weg über das Deck war der kürzeste zu Rogers Kabine.
    Als sie in die Nacht hinaustrat, erschrak

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