Todesengel (Gesamtausgabe)
Träume den Weg wiesen und sie nur die Botschaften verstehen musste, um mit sich ins reine zu kommen…
29.
Am Mittwochvormittag saß Becker wieder mit seinem Team zusammen und war heilfroh, die Lagebesprechung nicht leiten zu müssen, nachdem von Meierberg, der eigentlich nur zur Begrüßung der Psychologin gekommen war, plötzlich darauf bestanden hatte, die Gesprächsführung zu übernehmen.
Der Hauptkommissar fühlte sich mindestens so müde wie am Montag, doch mehr als das Schlafdefizit machten ihm Scham und Wut zu schaffen, die ihn beim Gedanken an die letzten Nächte überkamen. Er hatte schon ein flaues Gefühl gehabt, als Katharina mit einer anderen Frau am vereinbarten Treffpunkt aufgetaucht war, aber dass sie sich mit ihr in aller Öffentlichkeit abknutschen würde, hätte er nie und nimmer für möglich gehalten. Wie ein Depp hatte er stundenlang neben dem Paar gesessen und sich maßlos darüber geärgert, Gundas Wink mit dem Zaunpfahl nicht verstanden zu haben. Wenn er der Angelegenheit überhaupt einen positiven Aspekt abgewinnen konnte, dann den, dass er am Montag, für den er keine Vorbereitungen mehr hatte treffen können, dank des Einfallsreichtums der Freundin von Katharina das am Charlottenburger Lietzensee gelegene Restaurant Engelbecken kennen gelernt hatte, das ihn wegen der liebevoll zubereiteten österreichischen und schwäbischen Spezialitäten und der aufmerksamen Bedienung begeistert hatte.
„Was halten Sie von den Thesen der Psychologin?“, wollte der Landeskriminaldirektor plötzlich von ihm wissen und Becker errötete wie ein beim Rauchen ertappter Lausbub, meinte in seiner Verlegenheit, sich noch kein abschließendes Urteil gebildet zu haben und dankte Gott im Himmel, dass von Meierberg ihm seine Unaufmerksamkeit durchgehen ließ und sich mit derselben Frage an den Oberstaatsanwalt wandte. Sauerbrei schien sich nicht schlüssig zu sein, was der oberste Kriminalbeamte von ihm hören wollte und verlor sich zunächst in Allgemeinplätzen, wurde erst konkreter, als der Sitzungsleiter auf sein Geschwafel unwirsch reagierte.
„Ich will“, brummte Sauerbrei, „auch keine voreiligen Schlüsse ziehen, doch scheinen die Teile des Puzzles, die Frau Pinkmann bisher zusammengefügt hat, tatsächlich zusammenzupassen! Für mich heißt das Folgendes: Wir haben es mit hoher Wahrscheinlichkeit mit keinem einzelnen Täter zu tun, sondern mit mehreren, bei denen es sich, den Handschriften der Bekennerschreiben nach zu urteilen, um Frauen handelt, die zwischen 20 und 40 Jahre alt sind. Als Tatmotiv kommt nach meiner Meinung nur Rache, für was auch immer, in Frage und ich muss Herrn Becker loben, weil er uns diese Erkenntnisse schon lange, wenn auch vergebens, zu vermitteln versucht hat! Ich meine also, dass die Kripo bei ihren weiteren Ermittlungen von einer unbestimmten Zahl rachsüchtiger Frauen als Täterinnen ausgehen sollte, die in irgendeiner, wenn auch unbewiesenen Beziehung zu Rosemarie Engholm und den anderen in den Bekennerschreiben erwähnten Mädchen stehen! Jetzt liegt es an uns, den Verschwörerinnen auf die Schliche zu kommen und wir sollten alle Kräfte bündeln, damit nicht noch weitere Opfer der mörderischen Frauen zu beklagen sind!“
Von Meierberg dankte Sauerbrei mit einem Kopfnicken und erteilte Berndt das Wort, die sich mit einem Handzeichen bemerkbar gemacht hatte. Die Oberkommissarin schloss sich zunächst den Thesen des Vorredners an und provozierte ihren Patenonkel dann mit der überfallartigen Frage, ob sich Männer überhaupt in die Psyche missbrauchter Frauen hineindenken könnten, worauf er, wie von der Tarantel gestochen, aufsprang und fluchtartig den Sitzungssaal verließ, nicht ohne sich beim Landeskriminaldirektor lautstark über die freche Beamtin zu beschweren. Fast alle im Raum quittierten Sauerbreis Wutanfall mit einem Lächeln und auch der dem Oberstaatsanwalt so zugetane LKA-Chef schüttelte verständnislos den Kopf, nicht aber Egon Becker, der spürte, dass zwischen dem Oberstaatsanwalt und seiner Patentochter etwas ablief, das mit den freundschaftlichen Beziehungen zwischen ihm und Mirjams Eltern nichts, aber auch gar nichts zu tun hatte...
30.
Die Sonne stand fast im Zenit und brannte unerbittlich, ließ Mensch und Tier verstummen und versengte auch die beiden Frauen am Straßenrand, die von ihrer Aufmachung her eher in ein Bordell als in die idyllische Landschaft des Barnim gepasst hätten. Sie hatten lange darüber diskutiert, ob ihnen die
Weitere Kostenlose Bücher