Todesengel (Gesamtausgabe)
Whisky in ein vor ihm stehendes leeres Glas goss und sich voller Sarkasmus zuprostete. Er war zuletzt vor gut einem Jahr hier gewesen und glaubte an winzigen Details zu erkennen, dass inzwischen die Hausherrin gewechselt hatte. Die Staatsanwältin schien, anders als ihre Vorgängerin, eine Vorliebe für Accessoires zu haben, die eine Wohnung erst gemütlich machen, für Hundefiguren aus Porzellan, kunstvoll drapierte Stoffblumen und Kerzen unterschiedlicher Form und Farbe und wenn vom Geschmack auf die Eigenschaften der attraktiven Frau zu schließen war, musste er eingestehen, sie völlig falsch eingeschätzt zu haben, dann war sie weitaus romantischer und verspielter, als er es sich hätte vorstellen können.
„Schmeckt der Whisky?“, wollte Frankenstein wissen, als er aus dem Bad zurückkam, und Becker lächelte müde, schob ihm sein Glas hin und meinte.
„Nun trink schon, auf ein bisschen mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an...“ Der Chef ließ sich nicht lange bitten, setzte sich dann zu Becker und fragte ihn unvermittelt, ob er sich um die Staatsanwältin kümmern könne, wenn bei der Operation etwas schief laufe. Becker schüttelte energisch den Kopf und wollte von Frankenstein wissen, mit wie vielen Frauen er es noch treiben solle, beruhigte sich aber schnell, als de Vorgesetzte seinen Wunsch erläuterte:
„Du sollst nicht mit Gunda schlafen, wirklich nicht! Ich will nur, dass du sie tröstest, wie du es bei deinen Töchtern machen würdest und ihr nach meinem Tod beim Formularkram hilfst! Aber das wird bestimmt nicht nötig sein, wahrscheinlich bin ich sogar früher, als Euch lieb ist, wieder im Dienst!“
Der Hauptkommissar fragte: „Schon in einer Woche?“ und Frankenstein relativierte seine Aussage, sprach jetzt von mindestens drei Monaten, die er benötigen würde, um zu gesunden, worauf sein Besucher sich von der Couch erhob und ein zweites Glas holte, um den Schmerz in seinem Herzen mit Whisky zu betäuben…
27.
In der folgenden Nacht fand Becker trotz des Alkohols in seinem Blut lange nicht zum Schlaf. Immer wieder kreisten seine Gedanken um die Entwicklungen im beruflichen und familiären Umfeld, die ihn zunehmend in seinem Bewegungsspielraum einschränkten. Carmen hatte sich am Abend, gleich nach ihrer Ankunft im Münsterland, bei Annette mit der Hiobsbotschaft gemeldet, dass es seiner Schwiegermutter noch schlechter ging als erwartet und angedeutet, dass sie voraussichtlich bis zum Herbst in Nordrhein-Westfalen bleiben müsse.
Auch mit Frankenstein konnte er bei realistischer Betrachtung erst im Oktober rechnen und so hatte er für mehrere Monate Haushalt und Kinder am Hals und zu allem Überfluss den Job seines Chefs mit dem bürokratischen Schnickschnack, den er wie die Pest hasste. Am meisten ärgerte ihn, dass er den längst zur Gewohnheit gewordenen Urlaub auf Rügen wahrscheinlich in den Wind schreiben musste. Ohne die Ehefrau würde er ohnehin nicht an die Ostsee fahren, doch selbst wenn Carmen sich für zwei oder drei Wochen von ihrer Mutter loseisen konnte, war damit nicht gesagt, dass er mit ihr und den Kindern im Juli zum Mönchgut aufbrechen durfte.
Solange Frankenstein das Krankenbett hütete, galt für ihn faktisch eine Urlaubssperre und dass ihm seine Behörde die Reiserücktrittskosten erstatten würde, tröstete ihn im Augenblick überhaupt nicht. Gegen 2 Uhr hatte Becker es satt, sich in seinem Bett herumzuwälzen und er stand so leise wie möglich auf, um die neben ihm liegende Juliane nicht zu wecken, schlüpfte in seine Pantoffeln und tigerte anschließend ruhelos durch das Haus, bis er auf die Idee kam, es sich im Garten auf der Hollywoodschaukel bequem zu machen. Deren sanften und gleichförmigen Bewegungen ließen ihn endlich ins Land der Träume gleiten und in diesem Zustand fanden ihn in den Morgenstunden die Töchter, die zwar ahnten, dass ihr Vater sich um die Mutter und den Kollegen sorgte, sich in ihrer kindlichen Unbekümmertheit aber köstlich über das auf der Schaukel schnarchende Familienoberhaupt amüsierten.
Der Hauptkommissar hatte, als er vom Gelächter der Kinder erwachte, zunächst Schwierigkeiten, sich zeitlich und räumlich zu orientieren, erinnerte sich erst nach einer Weile an seinen nächtlichen Ausflug und musste dann trotz des widerlichen Geschmacks in seinem Mund schmunzeln. Er hatte in seinem Leben schon in Zelten, Kraftwagen, Jugendherbergen und Schiffskabinen geschlafen, konnte sich aber nicht daran erinnern, jemals
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