Todesengel (Gesamtausgabe)
Nach zehn Minuten versiegte Hauptmanns Redefluss allmählich und Becker wollte endlich seine Fragen loswerden, die er sich auf einem Zettel notiert hatte, kam aber nicht zu Wort, weil dem Kollege Anrufer noch etwas Wichtiges einfiel:
„Das war noch nicht alles! Es gibt noch zwei weitere Indizien…“
„Und?“, drängte Becker, dessen Jagdfieber längst wieder erwacht war.
„Die Täter haben auf dem Hintern des Bürgermeisters eine
Widmung hinterlassen, mit einer Spraydose die Worte Rache für Hannelore auf die Haut gesprüht! Und ohne dem Ergebnis der Laboruntersuchungen vorgreifen zu wollen, wage ich zu behaupten, dass die Täter den Männern vor dem Transport in die Schorfheide das Narkosehilfsmittel verabreicht haben, das schon in Hamburg und Berlin zum Einsatz kam!“
„Uff!“, stöhnte Becker und signalisierte seiner Kollegin mit einem Achselzucken, dass aus der Verabredung mit ihr wohl nichts werde, doch schien sich Mirjam an der Aussicht, die nächsten Tage im drögen Umland statt in der glitzernden Metropole verbringen zu müssen, wenig zu stören, gab sie ihm doch, als er Hauptmann sein Kommen zusagte, sofort zu verstehen, dass sie ihn gern nach Eberswalde begleiten würde.
Kaum hatte Becker das Gespräch beendet, trommelte er alle verfügbaren Ermittler zusammen, stärkte sich mit einem belegten Brötchen, das Annette ihm am Morgen in die Aktentasche gesteckt hatte und informierte seine Kollegen in der zweiten Lagebesprechung innerhalb weniger Stunden über das Telefonat mit Hauptmann.
Die Nachrichten aus Eberswalde schlugen bei den Sitzungsteilnehmern, die trotz des eigentlich schon begonnenen Wochenendes an Beckers Lippen hingen, wie eine Bombe ein. Endlich konnte das von der Wiesbadener Psychologin gezeichnete Täterprofil seinen Lackmustest an einem aktuellen Fall bestehen und wenn alle in den nächsten Wochen ihren Job gut machten, stand am Ende des Sommers vielleicht einer der größten Fahndungserfolge der letzten Jahre, was die Ermittler erkennbar beflügelte. Am liebsten hätten sie sich sofort ins Umland aufgemacht, um den Mord an den zu Gejagten gewordenen Brandenburger Jägern aufzuklären und Becker hatte alle Mühe, seine Leute darauf hinzuweisen, dass er zwar nach Eberswalde gebeten worden sei, die Zuständigkeit für den neuen Fall aber bei den Kollegen des benachbarten Bundeslandes liege und er keine Lust habe, für seine Leute den Kopf hinzuhalten, wenn sie trotz seiner Mahnungen vorpreschten.
Um Halb fünf am Nachmittag machte er sich, weil er seinem klapprigen Wagen die Strecke nach Eberswalde nicht zumuten wollte, zusammen mit Mirjam in einem Golf aus dem polizeilichen Fuhrpark auf den Weg, geriet unterwegs immer wieder in Staus und hatte es letztlich nur dem Einsatz von Blaulicht und Sirene zu verdanken, dass er ohne große Abweichungen von der verabredeten Zeit am Ziel ankam.
Hauptmann erwartete ihn im Polizeipräsidium schon sehnsüchtig und zeigte sich sichtlich erleichtert, als sein Besucher endlich vor ihm stand, hatte er doch von den Meriten des Hauptkommissars gehört und hoffte insgeheim, sich durch die angestrebte Kooperation mit ihm profilieren zu können. Aber das würde er natürlich nie zugeben und so gab er sich gegenüber dem Gast und seiner Begleiterin leutseliger, als es nötig gewesen wäre, stellte ihnen lang und breit seine Mitarbeiter vor, instruierte sie über den neuesten Ermittlungsstand und schlug ihnen schließlich vor, sie zum Fundort der Leichen zu führen, was die Berliner sofort akzeptierten.
Am von Bereitschaftspolizisten weiträumig abgesperrten Ort des Grauens hätte ein Laie Schwierigkeiten gehabt, zu realisieren, was sich in der idyllischen Schorfheide vor einer Woche zugetragen hatte. Die von Menschenhand geschundenen und von kräftigen Eberzähnen angenagten Waidmänner lagen längst in Kühlfächern des Instituts für Rechtsmedizin in Bernau, die roten Flecken auf dem Waldboden waren in der hereinbrechenden Dämmerung kaum noch als das Blut der Mordopfer zu erkennen und wenn überhaupt noch etwas auf einen Ort des Verbrechens hinwies, waren es die von den Kriminaltechnikern hinterlassenen Spuren, vornehmlich Überreste von Gipsabdrücken auf dem Boden. In Beckers Kopf entstand gleichwohl ein realistisches Bild von der Bluttat und ihm wurde speiübel, als er sich in die Jäger hineinversetzte und sich vorstellte, wie Hexen mit teuflischen Fratzen ihm seinGlied in den Mund steckten und dann auf ihren Besen davonflogen.
„Sind die
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