Todesengel (Gesamtausgabe)
seine Gedanken immer mehr ab, drehten sich am Ende ausschließlich um seine Beziehung zu Mirjam und die ambivalenten Erwartungen, die er an das bevorstehende Treffen hatte. Einerseits freute er sich wie ein Schneekönig, die ehemalige Geliebte wieder einmal allein für sich zu haben und diese Vorfreude wollte er sich auch nicht verderben, doch fragte er sich auch, wie weit er Mirjam ins Vertrauen ziehen konnte. Wochen hatte er darüber weggesehen, dass die Ermittlungen immer dann stockten, wenn die Oberkommissarin sie beeinflussen konnte, doch ließ sich, wenn er an die Vernehmung von Hufschmied dachte, nicht mehr länger leugnen, dass mit Mirjam etwas nicht stimmte.
War sie wirklich noch loyal zu ihm, zuverlässiger Teil des Teams oder spielte sie, warum auch immer, ihr eigenes Spiel? Er konnte sich immer noch nicht vorstellen, dass sie eine Verräterin war, doch gaben ihm die Protokolle der Befragungen von Margas Mutter und Hannelore Jakob immer mehr zu denken. War es wirklich möglich, dass aus einer Vernehmungsspezialistin wie Mirjam plötzlich eine elende Stümperin geworden war oder sabotierte sie neuerding Ermittlungen und verhinderte mit aller Raffinesse einen Fahndungserfolg? Doch warum sollte sie das Team verraten? Weit und breit sah er kein Motiv für die verabscheuungswürdigste Straftat, die ein Staatsdiener begehen konnte und nicht einmal die seelischen Verletzungen, die er ihr vor vier Monaten zugefügt hatte, schienen als Triebfeder auszureichen. Aber vielleicht gebrach es ihm nur an Fantasie, um sich in die Gedankenwelt einer verlassenen Frau hineinzudenken. Und wenn die Oberkommissarin nur Werkzeug in den Händen eines Karrieristen war, der sie ausnutzte, um ihn zu schwächen und seine Chancen im Auswahlverfahren um die Nachfolge Frankensteins zu schmälern? Wenn er an die Parvenüs im Umfeld des Landeskriminaldirektors dachte und die Politik des Hauses, bei der Besetzung von Führungspositionen vornehmlich auf Hochschulabsolventen zu setzen, war nahezu alles möglich! Fragen über Fragen schossen Becker durch den Kopf und so war es, als er das nächste Mal auf seine Uhr schaute, schon zehn Minuten nach eins und höchste Zeit, um Mirjam abzuholen.
43.
Anders als ihr Chef vertrödelte die Oberkommissarin die Zeit bis zum Mittagessen nicht mit unnützen Gedanken, sondern tüftelte an einer Erfolg versprechenden Strategie für das Treffen mit ihm. Ihr war nicht verborgen geblieben, dass Becker ihr spätestens seit Hufschmieds Vernehmung misstraute und weil es angesichts der neuesten Wendung in der Mordsache höchste Zeit war, seinen Verdacht zu zerstreuen, kam der unverhoffte Date für sie wie gerufen.
Wenn sie mit ihrer Intuition nicht völlig danebenlag, hatte sie bald die Chance, die Racheengel persönlich kennen zu lernen, aber das ging nur, wenn Becker ihr blind vertraute und deshalb musste sie dafür sorgen, dass ihre Liebesbeziehung wieder auflebte. Dass sich sein Strohwitwerdasein immer mehr in die Länge zog, half gewiss bei der Umsetzung ihres Plans und dass sie über ihren Schatten springen und entgegen allen Schwüren noch einmal mit einem Mann schlafen musste, um ihn für sich einzunehmen, war kein Zuckerschlecken, aber notwendiges Opfer einer Soldatin, die für die Rechte missbrauchter Frauen kämpfte...
Als Becker dann mit einiger Verspätung ihr Büro betrat und sich für seine Unpünktlichkeit entschuldigte, hatte sie ihren Plan längst im Kopf und blieb deshalb zunächst auf Distanz zu ihm, hakte sich erst bei ihm unter, als sie weit genug vom Dienstgebäude entfernt waren und sie sicher sein konnte, keinem Kollegen über den Weg zu laufen. Der Chef war anfangs noch unschlüssig, wie er auf ihren Annäherungsversuch reagieren sollte, doch dann legte er, wie erhofft, seinen Arm um ihre Schulter und tappte unversehens in die ihm gestellte Falle, ohne es zu bemerken.
„Hast du mich noch lieb?“, fragte sie ihn später im Restaurant und füßelte an seinen Hosenbeinen herum, kam dabei dem Epizentrum seiner Lust gefährlich nahe und hörte mit Genugtuung, wie sehr sie ihn schon im Griff hatte. Natürlich begehre er sie wie eh und je, sei geradezu verrückt nach ihr und ohne die Eifersucht seiner Frau hätte er sich nie von ihr getrennt. Mirjams Fuß hatte jetzt fast sein Ziel erreicht und sie Angst, dass Becker im letzten Augenblick Angst vor der eigenen Courage bekam, doch dann verschwand seinerechte Hand unterm Tisch und führte ihren Fuß so energischzu seinem Schoß, dass sie
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