Todesengel (Gesamtausgabe)
Optimismus bei den übrigen Ermittlern Wurzeln geschlagen und so ging es in der Besprechung letztlich nur noch darum, die Rollen im Mörder und Gendarmenspiel optimal zu besetzen und die Einzelheiten des Vorgehens festzulegen. Scharf, Sauerbrei & Co. sparten hierbei trotz des bevorstehenden Wochenendes nicht mit Vorschlägen und wenn auch nicht alle Ideen gleichermaßen zu realisieren waren, kamen die Sitzungsteilnehmer auf diese Weise doch zu teilweise überraschenden und in jedem Fall überzeugenden Lösungen. So empfahl Fati der Runde, den schwerkranken Frankenstein als Lockvogel zu gewinnen und Mirjam brachte sich, zum Unwillen Beckers und Sauerbreis, die aus unterschiedlichen Gründen gegen diese Rollenbesetzung waren, als die Frau ins Gespräch, die den Kontakt zu den Tatverdächtigen herstellen sollte.
Gunda Mohr protestierte, als der Name des Lebensgefährten fiel, sehr heftig, gab ihren Widerstand aber sofort auf, als der vor der Pensionierung stehende Oberrat in einem eilends mit ihm geführten Telefonat seine Zustimmung gab und sich sogar auf die neue Aufgabe freute. Um die andere Rollenbesetzung tobte dagegen eine längere Redeschlacht und Sauerbrei versuchte mehr als einmal, seine Machtposition als Herr des Verfahrens auszuspielen, geriet aber spätestens, als der Hauptkommissar klein bei gab, in die Defensive und gab irgendwann auch seinen Widerstand auf.
Nachdem die wichtigsten Personalien geklärt waren, ging es noch um taktische Details und schließlich fasste Becker das Ergebnis der Lagebesprechung zusammen: „Erstens: Berndts Wohnung wird so hergerichtet, dass sie ihre Rolle optimal ausfüllen kann. Sobald das Equipment dort installiert ist, wird sie das verdächtige Internetportal besuchen und möglichst schnell mit den Betreiberinnen zu kommunizieren beginnen. Sie wird sich als eine Frau offenbaren, die in jungen Jahren von ihrem Onkel missbraucht wurde, immer noch traumatisiert ist und sich an ihm rächen möchte, sich aber allein nicht traut. Wenn alles gut geht und es sich bei den Frauen, die hinter dem Portal stehen, tatsächlich um unsere Mörderinnen handelt, werden sie früher oder später anbeißen und Mirjam zu sich einladen.
Ich denke, dass der Kontakt zur Jungfräulichen Rache auch in den anderen Fällen auf diese Weise hergestellt wurde. Bis zur Verabredung über die Liquidation des fiktiven Onkels dürfte es dann nicht mehr weit sein und entweder schlagen wir erst zu, wenn die Racheweiber Frankenstein ans Leder wollen oder aber, sobald wir gerichtsverwertbare Beweise für die Entgegennahme des Mordauftrags zusammen haben. Jedenfalls werden wir die Oberkommissarin mit einer plausiblen Legende versehen und sie für alle Treffen mit den Mörderinnen so präparieren, dass wir jedes Wort, jede Mimik und jede Handlung der Frauen mitbekommen! Hat noch jemand Fragen?“
Becker musterte die Gesichter der Ermittler und spürte ihr Jagdfieber, doch waren zunächst die von ihm vor der Sitzung angeforderten Spezialisten gefragt, die Mirjams Wohnung in den nächsten Tagen wie einen Spaceshuttle verkabeln und damit die Voraussetzungen für die Umsetzung seines Plans schaffen würden.
„Wie ich sehe“, meinte er schließlich, „ist alles klar und deshalb wünsche ich Ihnen ein erholsames Wochenende!“ Spätestens jetzt war Becker der ungeteilte Beifall aller Ermittler gewiss und er genoss ihn ebenso wie die Vorfreude auf die kommende Nacht, die er zusammen mit seiner Geliebten verbringen würde.
45.
Nach dem Liebesspiel, bei dem er sich völlig verausgabt hatte, lag Becker noch eine Weile mit dem Kopf auf Mirjams Schoß, in einer Hand die unvermeidliche Zigarette und in der anderen die Fernbedienung für den Portable, den die Kollegin im Schlafzimmer zu stehen hatte. Im ZDF lief seit einigen Minuten die neueste Folge von Bella Block und obwohl deren Ermittlungsmethoden mit der Realität so gut wie nichts zu tun hatten, schien Mirjam die psychologische Raffinesse, mit der die Titelfigur auf Verbrecherjagd ging, zu schätzen. Und weil diese Stunden für Tage, wenn nicht für Wochen die letzten sein würden, die er ungestört mit der Kollegin verbringen konnte, wollte er den Zauber des Augenblicks um keinen Preis der Welt zerstören und verfolgte die Handlung wenigstens in groben Zügen, während er seinen Gedanken nachhing.
Er fragte sich, wie es mit ihm und Mirjam weitergehen würde, wenn Carmen nach dem Tod ihrer Mutter aus dem Münsterland zurückkehrte und ihre älteren Rechte
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