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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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allmählich. Als es schließlich so weit war, konnte Ingo seinen Studiogast mit einem Lächeln ansagen und mit den Worten: »Meine Damen und Herren, hier ist der Mann, der gestern Mittag meine Wohnung durchsuchen und meinen Computer beschlagnahmen ließ – Oberstaatsanwalt Dr. Lorenz Ortheil!«
    Erstaunlich: Ganz egal, wie man jemanden ankündigte, geklatscht wurde immer.
    An der Art, wie der Staatsanwalt die Bühne betrat, merkte man, dass er Auftritte aller Art gewohnt war. Er bewegte sich mit genau dem richtigen Tempo, blieb einen Moment stehen, damit die Kameras Zeit hatten, ihn zu erfassen, lächelte nicht zu kurz und nicht zu lange – ein Profi.
    »Herr Oberstaatsanwalt«, begann Ingo, als Ortheil Platz genommen hatte, »Sie sind auf eigenen Wunsch hier. Warum?«
    »Um Schlimmeres zu verhindern als das, was Sie bis jetzt mit Ihrer Sendung angerichtet haben«, sagte Ortheil mit einer Schärfe, deren Plötzlichkeit Ingo verblüffte. So rasch attackiert zu werden hatte er nicht erwartet.
    Na gut. Wenn Ortheil den Kampf wollte, sollte er ihn kriegen.
    »Ich kann verstehen, dass es Ihnen nicht gefällt, wenn ich Dinge an die Öffentlichkeit bringe, die Sie lieber verheimlichen würden«, erwiderte Ingo. »Aber dass Sie massiven Druck auf den verantwortlichen Redakteur dieser Sendung ausgeübt haben, um heute Abend hier auftreten zu können, ist schon ein starkes Stück.«
    Ortheil lächelte spöttisch. »Hat man Ihnen das erzählt? Lustig. Ich hatte das Gefühl, Ihr Redakteur war begeistert. Mit Handkuss genommen trifft es eher.«
    Das Dumme war, dass sich Ingo keineswegs sicher war, ob Ortheil da nicht womöglich die reine Wahrheit sagte. Zuzutrauen war es Rado.
    Das noch Dümmere war, dass Ortheil diese Unsicherheit spürte und sofort nachstieß. »Was mir gefällt oder nicht, spielt außerdem keine Rolle. Wir haben eine freie Presse. Das ist gut so. Dafür nehme ich gern in Kauf, kritisiert zu werden«, erklärte er. Er richtete seinen Zeigefinger auf Ingo. »Aber was Sie machen, geht über die Freiheit der Berichterstattung und Meinungsäußerung hinaus. Sie ergreifen mit Ihrer Sendung Partei für diesen Unbekannten, der glaubt, er stehe über dem Gesetz. Sie bewegen sich haarscharf an der Grenze, jenseits derer Sie sich des Aufrufs zu einer Straftat schuldig machen. Und ich verspreche Ihnen – sollten Sie diese Grenze übertreten, werde ich Sie rechtlich belangen.«
    Ingo hielt seinem zornigen Blick stand. »Nur zu. Das wird ein interessanter Prozess.«
    Es tat gut, das zu sagen. Es war noch besser, als damals im Kino die Dirty-Harry -Dialoge mitzusprechen. Er hatte sich wieder gefangen. Dies hier war sein Studio, seine Sendung, sein Revier. Die Zuschauer waren auf seiner Seite. Hier konnte ihm keiner.
    Doch Ortheil, Profi, der er war, ignorierte ihn einfach und wandte sich direkt ans Publikum. »Meine Damen und Herren, was ich in den letzten Tagen hier gesehen habe, war teilweise primitivster Populismus, fast schon Gewaltverherrlichung, auf jeden Fall aber ein Appell an niederste Instinkte. Ich habe mich entschlossen zu kommen, um zu verhindern, dass sich atavistische Reaktionen wieder Bahn brechen, die wir in Jahrtausenden zivilisatorischer Entwicklung mühsam eingehegt und gebändigt, aber eben nicht beseitigt haben. Wir haben Jahrhunderte gebraucht, um Gepflogenheiten wie die Fehde oder die Blutrache abzuschaffen – weitgehend zumindest. Wollen wir wirklich zu Zuständen wie im Mittelalter zurück? Zum Faustrecht? Zu Körperstrafen? Dazu, Dieben die Hand abzuhacken und Betrügern die Zungen herauszuschneiden? Zu öffentlichen Hinrichtungen, um abzuschrecken? Das hat schon damals nicht funktioniert.« Er hob mahnend den Zeigefinger. »Wir dürfen keine Selbstjustiz dulden, auch dann nicht, wenn uns die zu strafende Tat besonders erzürnt. Gerade dann nicht. Selbstjustiz kann niemals eine Alternative sein zu den Errungenschaften einer langen, mühevollen Rechtsgeschichte. Und außerdem«, fügte er mit gekonnter Dramatik hinzu, sich wieder an Ingo wendend, »übertreiben Sie maßlos, Herr Praise. Es ist eine Tatsache, dass die Zahl der Gewaltverbrechen seit Jahren konstant sinkt. Das können Sie in den Kriminalstatistiken nachlesen.«
    »Man hat genau den entgegengesetzten Eindruck«, sagte Ingo. Auf dieses Argument hatte er nur gewartet. Schon lange.
    »Das mag sein, aber es liegt meines Erachtens eher an der Berichterstattung, die solche Eindrücke erzeugt. Eine gefühlte Unsicherheit des öffentlichen

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