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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Bilder vom Tatort. Dann zog sie dünne Latexhandschuhe an und beförderte das Schweineherz sichtlich angewidert in einen Plastikbeutel. »Und jetzt geh ich eine rauchen«, erklärte sie anschließend.
    Der Rest der Prozedur spielte sich auf dem Rücksitz des Streifenwagens ab. Der behäbige Polizist werkelte mit einem klobigen Laptop herum, übersetzte alles, was Ingo sagte, in umständliches Amtsdeutsch und tippte dabei nervenzerfetzend betulich. Der Zeuge Ingo Praise gibt an, die Nacht nicht in seiner Wohnung verbracht zu haben, erst gegen zehn Uhr fünfzig zurückgekehrt zu sein und die Nachbarn Frau Petra Geier und Herrn Hermann Müller im Hausflur vor dem fraglichen Briefkasten angetroffen zu haben. Diese machten ihn darauf aufmerksam, dass aus diesem eine dunkle Flüssigkeit austrat. Es kam sofort die Vermutung auf, es handle sich um Blut. H. Müller übernahm es, die Polizei zu rufen.
    Und so weiter. Am Schluss druckte er das Protokoll auf einem kleinen, ruckelnden Drucker aus, ließ es Ingo unterschreiben, und das war es dann, was die Unterstützung durch die Freunde und Helfer anbelangte. Die beiden Streifenpolizisten zogen ab und überließen ihn seinem Schicksal.
    Ingo musste sich erst mal auf die Treppe setzen, weil seine Knie plötzlich so zitterten, dass er den Aufstieg in den fünften Stock nicht schaffen würde.
    Er würde gar nichts mehr schaffen. Die ganze Geschichte überforderte ihn, und zwar völlig. Er tastete nach seinem Handy. Er würde Rado anrufen, jetzt sofort, und kündigen, ihm sagen, dass er die Sendung nicht weitermachen würde. Scheißegal, was er unterschrieben hatte, er würde es einfach nicht tun. Aus. Fertig. Alles was recht war, das hier war zu viel.
    »Mein Gott, Herr Praise!«
    Er wandte den Kopf. Frau Geier stand hinter ihm, die Hände zusammengelegt, das Gesicht ein Ausdruck höchster Sorge. »Sie sind ja kreidebleich. Kippen Sie jetzt bloß nicht um!«
    Ingo fühlte die Verpflichtung, etwas zu sagen, das männliche Stärke und Selbstbewusstsein signalisierte und sie beruhigte, aber ihm kam kein Wort über die Lippen. Blanke Angst hatte ihn im Griff, wühlte in seinen Eingeweiden, als wolle sie dort das nächste blutige Organ herausreißen.
    »Warten Sie«, beschwor ihn Frau Geier. »Ich bring Ihnen was.«
    Sie walzte die Treppe hoch und kam gleich darauf mit zwei Tabletten und einem Glas Wasser zurück. »Hier. Nehmen Sie das. Das hilft.«
    Ingo betrachtete die orangeroten Pillen auf ihrer schwitzigen Handfläche. »Was … ist das?«, fragte er mit trockenem Mund.
    »Was Pflanzliches. Das beruhigt, Sie werden sehen.«
    Opium ist auch was Pflanzliches , schoss es Ingo durch den Kopf, aber er nahm die Pillen, spülte sie mit dem Wasser hinunter, trank das Glas gierig leer. Und wenig später ließ das innere Beben tatsächlich nach.
    »Danke«, sagte er. Er konnte wieder aufstehen. War doch schön, dass es jemanden gab, der sich um ihn kümmerte. »Vielen Dank.« Er deutete auf den blutig verschmierten Briefkasten. »Ich mach das gleich weg. Ich muss mich nur vorher umziehen.«
    Er sah an sich herab. Der Anzug. Die Reinigung hatte inzwischen natürlich längst zu. Super.
    Seine Wohnung wieder zu betreten war, als betrete er Feindesland. In den Räumen war es kühl, alles sah seltsam fremd aus, und es roch abstoßend. Unbewohnt. Verwahrlost.
    Ingo zog den Anzug aus und alte Klamotten an – daran herrschte in seinem Schrank ja kein Mangel. Dann trug er den überquellenden Mülleimer hinab, anschließend ging er noch einmal mit heißem Wasser und dem Putzzeug hinunter und reinigte den Briefkasten, so gut er konnte. Den widerwärtigen Geruch brachte er nicht weg, oder hatte sich der in seiner Nase eingebrannt? Er wusste es nicht.
    Nach all dem duschte er ausgiebig und fuhr schließlich mit dem eingepackten Anzug in die Stadtmitte, wo es eine Reinigung gab, die auch samstagnachmittags offen hatte und übers Wochenende reinigte. Nachdem er das Teil los war und das Versprechen hatte, es würde bis Montagmittag fertig sein, probierte er es noch einmal bei Rado. Diesmal erreichte er ihn zu Hause. Er erzählte ihm von dem Drohanruf und dem Schweineherz im Briefkasten.
    »Was?«, polterte Rado. »Wieso hast du mich nicht sofort angerufen?«
    »Hab ich versucht. Aber dein Handy hat nur ewig geklingelt.«
    Rado gab einen undefinierbaren Laut von sich. »Das hab ich im Auto vergessen.«
    Es klang gelogen. Womöglich, überlegte Ingo, hatte Rado ja so etwas wie ein Sexualleben?

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