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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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und einer Million PS. Er hat keine Gelegenheit ausgelassen, damit anzugeben. Hat die Mädchen damit abgeschleppt. Das Übliche halt. Ein paar Wochen später macht eines Morgens das Gerücht die Runde, jemand aus unserer Schule sei mit einem Motorrad tödlich verunglückt.« Ingo holte tief Luft. »Als ich davon gehört habe, war mein erster Gedanke: Lieber Gott, lass es Imre sein.«
    »Oh«, entfuhr es Evelyn.
    »Ich hab’s mir wirklich gewünscht. Es wäre die Erhörung meiner Gebete gewesen.«
    »Und? War er es?«
    »Nein. Ein Junge aus der Parallelklasse, ein unauffälliger, stiller Typ. Und es war kein Motorrad, sondern ein Mofa. Er ist damit unter einen Laster gekommen, hatte keine Schuld.«
    »Schrecklich.«
    »Ja.«
    An diesem Abend lief nichts mehr. Obwohl Evelyn ihm versicherte, es sei okay, kuscheln sei auch schön, wusste er, dass sie enttäuscht war. Männer spürten so etwas.
    Am Sonntag sagte sich Victoria, dass ihr Verhalten allmählich krankhaft war.
    Sie stand morgens auf, zur üblichen Zeit, setzte sich an den Computer, und dann … tat sie nichts . Brachte kein Wort auf den Schirm. Zwang sich nach dem Frühstück dazu, musste aber irgendwann alles wieder löschen, weil sie Unsinn schrieb, falsch übersetzte, zu keinem klaren Gedanken imstande war.
    Allmählich kam sie mit ihrem Arbeitsplan in Verzug. Der Hersteller des Medikaments hatte per Mail gefragt, wie es denn aussähe? Gut, hatte sie geantwortet. Demnächst.
    Am Donnerstag war das gewesen. Seither hatte sie nicht ein einziges weiteres Wort geschrieben. Und heute war Sonntag. Schon!
    Ihr war, als summe es in ihr wie von Starkstrom, als arbeite irgendwo da drinnen eine Maschine auf vollen Touren, ohne ihre Energie irgendwohin ableiten zu können. Sie war jeden Abend zu Tode erschöpft, schlief wie ein Stein, aß wie ein Bauarbeiter.
    So konnte das nicht weitergehen.
    Sie sprang auf, wanderte durch das Haus, ordnete Dinge, klaubte Staubflusen auf. Machte sich einen Tee. Trank ihn, sah aus dem Fenster in den Garten, der über und über mit gelbbraunem Laub bedeckt war, versuchte alles zu vergessen.
    Aber vielleicht ging es nicht darum, zu vergessen, sondern darum, sich zu erinnern?
    Von jäher Hoffnung erfüllt, kehrte sie an den Computer zurück, öffnete ein neues, leeres Dokument und begann zu schreiben, ließ die Worte auf den weißen Schirm fließen.
    Es passierte an einem Dienstag. Dienstags fing die Schule eine Stunde später an. Hätten wir die erste Stunde nicht freigehabt, wäre nichts geschehen.
    Sie nahm die Hände vom Keyboard, als seien die Tasten plötzlich glühend heiß geworden. Nein. Das hatte sie doch alles schon mal probiert. Es würde ihr jetzt so wenig helfen wie damals.
    Damals …
    Sie griff nach der Maus, klickte sich in die Tiefen ihrer Festplatte, hinein in Verzeichnisse, die sie seit Ewigkeiten nicht mehr angerührt hatte. Alte Verzeichnisse.
    Da. Eine Datei mit dem Titel Was_geschah.doc . Mehr als zehn Jahre alt.
    Sie öffnete sie, las, was sie damals geschrieben hatte.
    Genau dasselbe. Wort für Wort.
    Am Montagmorgen fiel Ingo gerade noch rechtzeitig ein, dass er ja in die Stadt fahren und seinen Anzug von der Reinigung abholen musste. Mit der U-Bahn wäre das eine Sache von einer halben Stunde gewesen, aber ihm war danach, oberhalb der Erde zu bleiben. Also nahm er den Bus, auch wenn das hieß, weite Umwege nehmen und zweimal umsteigen zu müssen.
    Dieser Entscheidung verdankte er es, dass er, als er in einem voll besetzten Bus der Linie 903 an den Edelkaufhäusern in der Berliner Allee vorbeifuhr, Markus Neci und Melanie Arm in Arm aus einem der teuersten Modegeschäfte kommen sah. Melanie trug eine prall gefüllte Tüte mit dem Logo der Boutique in der Hand, hatte sich bei Matschi eingehakt und lachte gerade lauthals über etwas, das er zu ihr sagte. Und der Herr Professor grinste wie Dschingis-Khan nach der Unterwerfung seiner Rivalen.
    So also machte das der Mann von Welt: mit Bestechung. Denn offensichtlich hatte er ihr irgendeinen kostspieligen Fummel spendiert, um ihren Groll wegen seines Seitensprungs zu besänftigen.
    Und wie es aussah, ging das für Melanie in Ordnung. Rechte der Frauen hin, weibliches Selbstbewusstsein her.
    Ingo sank in sich zusammen. Und für diese Frau hatte er damals den Job in Paris sausen lassen!
    Dann fiel ihm die Karte in seiner Küche wieder ein, und er beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken.
    Später saß Ingo wie gehabt in dem stillen Büro ohne Telefon und bereitete

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