Todesengel: Roman (German Edition)
doch alles Kacke. War ’ne blöde Idee, zu kommen. Sorry, dass ich Sie belästigt habe.« Und weg war er.
Peter öffnete rasch die Tür des Beichtstuhls, aber er vernahm nur noch die eiligen Schritte des Jungen, erhaschte einen viel zu kurzen Blick zwischen den Säulen hindurch, dann ging das Portal auf und fiel donnernd zurück ins Schloss.
Er hatte auf einmal wieder diese Stimme aus der Vergangenheit im Ohr. Ich brauche deine Absolution nicht. Ich wollte nur, dass du Bescheid weißt. Wenigstens du.
Ja. Nun wusste er Bescheid. Anstatt weniger Gewalt würde es mehr davon geben.
Er musste etwas tun.
Als Ingo abends bei Evelyn ankam, dachte er daran, zickzack zu gehen und auf Verfolger zu achten, aber das mit dem Rotwein hatte er vergessen. Was ihm einen Blick einbrachte, unter dem er zusammenzuckte: Er hatte sie enttäuscht. In diesem Moment ähnelte Evelyn auf verwirrende Weise Melanie.
»Kein Problem, bin gleich wieder da«, rief er und marschierte postwendend noch einmal los. Doch es dauerte, bis er bei der Tankstelle an der Schnellstraße ankam, wo er zwei Flaschen fand, wenn sie auch schrecklich teuer waren.
Das Ganze verbesserte Evelyns Laune nicht, denn so hatte sie mit dem Abendessen warten müssen, und einen Wein hätte sie schon noch gehabt. »Es wäre besser, wir würden in so einer Situation reden «, meinte sie spitzlippig.
»Du weißt doch, Männer reden nicht, Männer handeln«, versuchte er einen Witz, der aber nicht zündete.
So fühlte er sich bemüßigt, sich heute besondere Mühe mit dem Reden zu geben. Erzählte von der Geschichte mit dem Schweineherz in seinem Briefkasten. Schockte sie damit, bekam fast selber noch einmal Angst, als er das Entsetzen in ihren Augen sah. Aber er hatte das Gefühl, dass sie ihm dafür die Sache mit dem vergessenen Wein vergab.
Was er selber denn für Erfahrungen mit körperlicher Gewalt gemacht habe, wollte Evelyn später wissen, als sie mit der Flasche von der Tankstelle im Wohnzimmer saßen. Kevin hatte sich, nach einem geflüsterten Hinweis seiner Mutter, dezent in sein Zimmer verzogen. »In der Schule zum Beispiel. Gab’s da einen, der dich verprügelt hat?«
»Einen? Drei sogar«, sagte Ingo und musste sein Glas abstellen, weil er auf einmal fürchtete, es zu zerbrechen.
Dietmar, Imre und Erik. Während Ingo erzählte, spürte er wieder die Hitze des Sommers damals, die Hitze seiner Angst, als er begriff, dass er ihnen nicht entkommen würde. Er roch das Gras, in das sie ihn warfen, schmeckte den Kuhfladen, in den sie sein Gesicht drückten, hörte ihr johlendes Gelächter und ihre gemeinen Sprüche.
Als er nach Hause kommt, heulend, ist seine Mutter nicht da, nur sein Vater. Der tröstet ihn nicht, bemitleidet ihn nicht, sagt nur: »Geh dich waschen.« Nachher reden sie darüber, aber sein Vater ist nicht von der Überzeugung abzubringen, dass er, Ingo, die drei Jungen irgendwie gereizt haben müsse.
Doch das hat er nicht. Er ist der Kleinste und Schwächste in der Klasse: Das ist es, was sie reizt. Er kann sich nicht wehren. Er ist jemand, an dem man seine Aggressionen gefahrlos austoben kann, weil niemand ihn verteidigt, kein Mitschüler, kein Lehrer, nicht einmal sein Vater.
Es ist nicht das einzige Vorkommnis dieser Art, aber es ist ihm im Gedächtnis geblieben, weil er an diesem Tag gemerkt hat, dass sein Vater nur deshalb an seinem Standpunkt festhält, weil er selber Angst hat: Er will nicht hören, dass man verprügelt werden kann, ohne daran schuld zu sein.
Als Ingo das merkt, bricht irgendetwas in ihm. Ist etwas vorüber in der Beziehung zu seinem Vater. Er hört auf zu beteuern, dass er Dietmar und den anderen nichts getan hat, lässt die Sache auf sich beruhen – doch ab da beginnt es, dass er seinen Vater … nun, nicht direkt verachtet . Er kann ihn nur nicht mehr ernst nehmen, nie wieder.
»Mein Vater hat darauf herumgeritten, dass wir nur unsere … unsere Meinungsverschiedenheiten ausdiskutieren müssten, damit alles gut würde. Ich habe es nie geschafft, ihm klarzumachen, dass es darum nicht ging. Sie wollten jemanden schlagen. Es hat ihnen Spaß gemacht.«
»Verstehe«, meinte Evelyn mit belegter Stimme.
Es strömte aus ihm heraus – die Worte, die Erinnerungen, die uralten Ängste. Als sei ein Damm gebrochen. Er hätte es nicht aufhalten können, nicht einmal, wenn er gewollt hätte. »Mit achtzehn hat Imre ein Motorrad bekommen. Ein richtig dickes Teil, irgendeine amerikanische Kultmarke mit Unmengen Chrom und Leder
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