Todesengel: Roman (German Edition)
die Sendung des Abends vor. Heute würde er keine problematischen Studiogäste haben: einen jungen Lastwagenfahrer und eine Rentnerin, die beide überfallen worden waren. Die musste er wahrscheinlich einfach nur erzählen lassen.
Am Nachmittag schaute Rado herein. »Du wirst berühmt«, erklärte er. »Wart mal, ob ich das jetzt auswendig zusammenbekomme: Eine Produktionsfirma aus Frankfurt hat angerufen, die fürs ZDF arbeitet. Die wollen ein Porträt über dich machen. Und der Südwestrundfunk will dich einladen für deren Sendung ›SWR Leute‹. Na, ist das was, oder ist das was?«
»Wow!«, entfuhr es Ingo.
»Hab ich recht gehabt, dass Fernsehen dein Ding ist?«
»Da kann ich gerade schwer widersprechen.«
»Besser so. Also, du bist gewarnt. Ich hab denen deine Nummer gegeben, die melden sich.«
»Okay.« Im nächsten Moment fiel ihm ein, wieso das nicht okay war. »Was heißt, meine Nummer? Welche?«
»Na, beide. Festnetz und Mobil.«
»Ich hab seit Freitag ein neues Mobiltelefon. Und folglich eine neue Nummer.«
Rado verdrehte die Augen. »Mann! Wär vielleicht ’ne Idee, mir die auch mal zu geben, oder?«
Ingo kritzelte sie ihm hastig auf ein Stück Papier. »Kannst du die zurückrufen und ihnen die Nummer durchgeben? Oder soll ich –?«
»Auf keinen Fall«, wehrte Rado ab. »Das würde ja so aussehen, als rennst du denen nach. Das macht man nicht. Nein, lass nur, die melden sich schon. Zur Not auf deinem Anrufbeantworter. Ach so«, sagte er, im Gehen begriffen, »die Polizei hat sich übrigens auch gemeldet. Sie haben alle in Frage kommenden Brüder von Opfern des Racheengels vernommen. Die streiten alle ab, bei dir angerufen zu haben.«
Ingo sah den Redakteur mit einem flauen Gefühl an. »Sag bloß. Wer hätte damit gerechnet?«
»Laut Polizei sind die Aussagen glaubhaft .«
»Mit anderen Worten, meine ist es nicht?«
Rado zuckte nur mit den Schultern. »Mach was draus. Den letzten Quotenberichten zufolge hast du über zwei Millionen Zuschauer.«
An diesem Montagmorgen zog Peter Donsbach seine ältesten, unauffälligsten Kleidungsstücke an: eine ausgeleierte Jeans aus Studienzeiten, einen fadenscheinig gewordenen Pullover, Turnschuhe, eine billige graue Windjacke. Er verließ das Haus durch den wenig benutzten und praktisch nicht einsehbaren Kücheneingang, schlug sich rasch in eine Seitengasse und fuhr dann mit der Straßenbahn in die Stadtmitte, ins Bahnhofsviertel, wo immer viele schräge Gestalten unterwegs waren und niemand Fragen stellte.
In einem staubigen Schreibwarengeschäft mit Gittern vor den Fenstern kaufte er eine noch eingeschweißte Packung großer Briefumschläge, eine Plastikmappe, eine kleine Schere, eine Pinzette und einen Klebestift. Er zahlte bar, mit Münzgeld. Dann suchte er die rings um den Bahnhof gelegenen Internetcafés ab, bis er eines fand, das ihm für sein Vorhaben geeignet schien: Die einzelnen Arbeitsplätze waren durch hohe Trennwände separiert, neben jedem PC stand ein eigener Drucker, und es war so gut wie nichts los. Geführt wurde es von einem Asiaten, der vollauf damit beschäftigt war, sich einen Tee zuzubereiten, und nur mit einer knappen Handbewegung meinte: »Wherever you want.«
Peter setzte sich ganz nach hinten, an den letzten PC. Als er nach der korrekten Adresse des Kommissariats googelte, stieß er auf den Bericht einer Zeitung, die keine Hemmungen hatte, Namen von Polizeibeamten zu veröffentlichen: Der Leiter der Soko Todesengel, behauptete der Rodenthaler Anzeiger , heiße Kriminalhauptkommissar Justus Ambick.
Peter beschloss, den Namen auf Verdacht zu verwenden; falls der Name nicht stimmte, machte das auch nichts. Die zwei Blätter, die er brauchte, waren schnell geschrieben und ausgedruckt; die zugehörigen Dateien speicherte er erst gar nicht. Er benutzte die Pinzette, um das Papier aus dem Auswurfschacht des Druckers zu holen, ohne es zu berühren. Keine Fingerabdrücke! Am sichersten wäre es gewesen, Latexhandschuhe zu tragen, wie Chirurgen sie verwendeten, aber das hätte jemandem auffallen können. Eine Pinzette war unverdächtig.
In einer der Boxen telefonierte ein Mann mit fettigen Haaren per Internet. Peter konnte die Sprache nicht identifizieren, es klang jedenfalls sehr bedrückt und traurig. Daneben spielte, den Geräuschen nach zu urteilen, ein Jugendlicher ein Computerspiel. Und dann war da noch die matronenhafte Frau, die er beim Hereinkommen irgendwelche Internetseiten mit Aktienkursen oder dergleichen hatte
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