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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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gesagt. Mit anderen Worten, er wusste nicht, wer der Racheengel war – sonst wäre er wohl kaum zu ihr gekommen.
    Hatte er den Hinweis von Peter?
    Sie musste mit Peter sprechen, unbedingt. Ruckartig erhob sie sich wieder, nahm die restlichen Stufen, ging ins Bad und kramte in dem Kästchen unter dem Waschbecken die Medikamentenschachteln durch. Da. Das Beruhigungsmittel von damals, dank dessen sie zur Beerdigung hatte gehen können.
    Sie las den Beipackzettel. Höchstens drei Tabletten auf einmal. Andererseits waren die seit anderthalb Jahren abgelaufen. Wie konnten Tabletten ablaufen? Sie wusste es nicht. Vielleicht besser, sie nahm eine mehr. Sie zog den Blisterstreifen heraus und drückte sich vier der dunkelgrünen Kapseln in die hohle Hand. Dann stand sie auf, füllte den Zahnputzbecher mit Wasser aus der Leitung und spülte die Tabletten hinab, ehe sie es sich anders überlegen konnte.
    Überhaupt war es ratsam, jetzt nicht allzu viel nachzudenken. So wenig wie möglich, um genau zu sein. Nicht denken, handeln. Alles andere würde sich finden.
    Zumal es diesmal ohne Tante Maria gehen musste.
    Victoria ging wieder hinunter. Vor einer Tür, die seit Jahren nicht mehr geöffnet worden war, blieb sie stehen, umfasste die Klinke, drückte sie hinab. Dumpfer, muffiger Geruch empfing sie. Die Garderobe. Hier lagerten alle Kleidungsstücke, die für draußen gedacht waren – Mäntel, Jacken, Schuhe, Schirme. Nichts davon hatte sie seit damals wieder benutzt. Womöglich passten ihr die Sachen gar nicht mehr? Ganz bestimmt waren sie völlig aus der Mode.
    Doch die Wirkung der Tabletten setzte schon ein und ließ ihr beides egal sein. Sie zog Schuhe an, freute sich, dass sie noch Schnürsenkel binden konnte. Wählte einen hellbraunen Mantel aus, der ihr für das regnerische, graue Wetter draußen geeignet schien. Zog ihn an. Warf einen Blick in den verstaubten Spiegel. Nicht nachdenken. Sie würde mit Peter sprechen, von Angesicht zu Angesicht. Sie musste ihm einfach nur gegenübertreten, dann würde er ihr nicht mehr ausweichen können.
    Das war ein guter, ein kämpferischer Gedanke, einer, den zu denken ihr Kraft gab. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie Peter heute wohl aussah. Würde sie ihn wiedererkennen? Bestimmt. Genauso, wie er sie erkennen würde.
    Und alles Weitere würde sich finden.
    Den Hausschlüssel noch. Sie musste ja von außen zuschließen, musste wieder hereingelangen, wenn sie zurückkam. So viel Nachdenken musste schon sein.
    Der Schlüssel war an seinem Platz: in der obersten Schublade der Flurkommode. Sie nahm ihn heraus, schloss die Hand darum, fühlte das kalte Metall, das scharfe Relief des Barts. Dann packte sie die Klinke der Haustüre und zog sie entschlossen auf.
    Straßenlärm brandete herein, Abgasgeruch, ein Gewirr aus fernen Stimmen und Radiomusik und Hundegebell. Victoria richtete ihren Blick auf die oberste Stufe der Außentreppe. Dorthin musste sie einen ihrer Füße setzen, damit das Unternehmen losgehen konnte.
    Wenn bloß nicht gerade beide Füße wie am Boden festgeklebt gewesen wären!
    Lag es an den Schuhen? Stimmte etwas mit den Sohlen nicht? Schwer zu sagen.
    Sie blieb erst mal stehen, wartete ab. Draußen ging jemand vorbei, ein Mann mit einer Aktentasche, der verwundert zu ihr hochsah. Ein Auto rollte vorüber, aus der Richtung kommend, in die der Mann sich bewegte. Im Rinnstein floss Wasser, trieb ein Stück rotes Papier.
    Es hatte keinen Zweck. Sie musste es einsehen. Sie konnte nicht hinaus. Ihre Eltern hatten ein Vermögen für Psychotherapeuten ausgegeben, diplomierte und habilitierte Experten, die alles versucht hatten, was man nur versuchen konnte. Wie kam sie dazu, zu denken, sie könne vollbringen, was diese Fachleute nicht –?
    Doch in dem Moment, in dem Victoria die Haustür wieder schließen wollte, wallte heiße, glühende Wut in ihr auf, ein unsagbarer, geradezu mörderischer Zorn auf jene, die ihr das angetan hatten, ihr und Peter und Alex und Ulli … und Herrn Holi, den sie gar nicht gekannt hatten bis zu jenem Tag, der sich einfach so zwischen sie und die drei Großen gestellt hatte, die Ulli in den Bauch geboxt und ihr gedroht hatten, ihr das Gesicht mit einem Messer zu zerschneiden, wenn sie nicht endlich das Geld herausrückte, das verdammte, verdammte Geld! Aber dann war Herr Holi aufgetaucht, ein Mann in einem grauen Anzug, der gerade aus seinem Auto gestiegen war. Er hatte »Was ist denn hier los?« gesagt und »Was soll denn das? Hä? Was treibt

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