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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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trug ausladende Theaterflügel auf dem Rücken und die Inschrift Todesengel auf der Brust, wobei Todes durchgestrichen war und in grüner Schrift schräg Friedens darüber geschrieben stand. Er wollte Ingo etwas in die Hand drücken, eine Schriftrolle oder dergleichen, doch Ingo entdeckte in letzter Sekunde die Videokameras, die auf ihn gerichtet waren, sah die Logos des ZDF und anderer Sender. Er wandte sich ab und machte, dass er durch die Tür kam, wo ihn die Sicherheitsleute in Empfang nahmen.
    An diesem Abend war ein pensionierter Gymnasiallehrer zu Gast, der von sieben Jugendlichen zusammengeschlagen worden war, nachdem er dagegen protestiert hatte, dass sie sein Auto zerkratzten. Dass er noch lebte, verdankte er seiner Einschätzung nach dem Umstand, dass sein Sohn und dessen Arbeitskollege rechtzeitig hinzugekommen und die Schläger in die Flucht getrieben hatten.
    »Soll ich Ihnen sagen, was meiner Ansicht nach die Ursache von all dem ist?«, fragte der Mann.
    »Ich bitte darum«, sagte Ingo, froh, mal wieder einen eloquenten Studiogast zu haben.
    »Eine scheinbare Banalität: dass man heutzutage einen Schurken nicht mehr einen Schurken nennen darf.« Er richtete seinen dürren Zeigefinger auf Ingo. »Zu meiner Zeit hat man einen Schüler, der etwas verbockt hat, zu Strafarbeiten verdonnert, und wenn seine Eltern davon erfahren haben, hat er von denen auch noch hinter die Löffel bekommen. Wenn man was angestellt hat, hatte das Konsequenzen. Aber heute? Ich hör es doch von den jungen Kollegen. Wenn Sie heute vormittags einen Schüler bestrafen, der richtig was ausgefressen hat, dann steht nachmittags sein Vater bei Ihnen im Lehrerzimmer, schreit Zeter und Mordio und droht mit dem Anwalt. Ach was – es reicht, wenn Sie einem ungezogenen Gör sagen, es sei ein ungezogenes Gör. Da haben Sie noch am selben Tag die Mutter am Telefon, die sich aufregt, wie Sie so etwas zu ihrem lieben Kind sagen können und ob Ihnen nicht klar ist, was für seelische Schäden Sie auf diese Weise anrichten. Und wehe, Sie wagen es, einzuwenden, dass das liebe Kind einem Mitschüler den Kopf in die Kloschüssel gedrückt hat und dass Sie das nicht in Ordnung finden: Zack, haben Sie eine Klage am Hals.«
    »Hmm«, meinte Ingo. »Früher war aber auch nicht die heile Welt.«
    »Behaupte ich auch gar nicht. Aber man hat sich zu meiner Zeit bemüht, die Menschen so zu sehen, wie sie sind. Heute dagegen hält man es für den Ausdruck einer besonders noblen Gesinnung, sich zu weigern, negative Seiten an anderen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Es wird förmlich von einem erwartet, ein idealistisches Menschenbild zu vertreten, ganz egal, ob es zutrifft oder nicht.« Der Pensionär strich sich die dünnen, weißen Haare aus der Stirn. »Und dahin, wo es nicht zutrifft, schaut man einfach nicht. Gibt ja heutzutage so viele Stellen, wo man stattdessen hinschauen kann.«
    Als sie wieder zurück im Büro waren, unzufrieden und ratlos, was sie von dem anonymen Hinweis halten sollten, fiel Ambick ein, die Liste mit den Namen noch einmal auszudrucken – nur die Namen – und damit in die Katakomben hinabzugehen.
    Kerner war da, hockte in seinem winzigen, gnadenlos überfüllten Labor und schaute gerade, in murmelnde Selbstgespräche vertieft, durch das Okular seines Mikroskops. »Ich hab noch keine Neuigkeiten«, sagte er rasch, als sei Ambicks Auftauchen ein stummer Vorwurf. »Wenn, hätte ich Ihnen sofort Bescheid gesagt.«
    »Das hoffe ich doch«, meinte Ambick. »Aber mal ’ne Frage: Kann dieses … wie hieß dieses Programm?«
    »Espacenet.«
    »Ja. Kann das auch nach Namen suchen?«
    »Klar.«
    Ambick legte ihm die Liste hin. »Dann schauen Sie doch mal, ob Ihnen einer von diesen Namen hier weiterhilft.«
    Der dicke Kriminaltechniker nickte wenig begeistert. »Okay. Kann ich machen.«
    »Gut.« Es klang nicht, als habe er vor, sich unverzüglich an die Arbeit zu begeben. Vielleicht war sein Verhältnis zu Frau Professor Woll vom Anwenderzentrum Materialforschung gerade in der Krise? Aber darum konnte sich Ambick nicht auch noch kümmern.
    »Fräulein?«
    Die kalte Stahlstange bot Halt. Tosen, Brausen, Hupen um sie herum, doch solange sie sich festhielt, konnte ihr nichts passieren. Tosen und Brausen auch in ihrem Inneren – festhalten! Festhalten! Einfach nur festhalten!
    »Fräulein? Hallo?«
    Die Flut der Bilder, der Sturm der Gefühle. Angst. Entsetzen. In Zeitlupe und schwarz-weiß, wie jemand schreit vor Entsetzen, schreit und

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