Todesengel: Roman (German Edition)
Ambick in diesem Moment einen Hauch zu neutral klang.
Er hob die Schultern. »Das weiß ich selber nicht genau. Wie gesagt, ich suche nach einer Spur, einem Anhaltspunkt …« Er griff nach seinem Kugelschreiber. »Ich fang mal mit einer ganz einfachen Frage an: Haben Sie noch Kontakt zu den drei anderen? Von damals?«
Etwas wie ein Schatten legte sich über ihr Gesicht. »Nein. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass Peter Donsbach Priester geworden ist. Aber mehr auch nicht. Nicht mal, wo er heute lebt.«
»Sie wissen nicht, dass er inzwischen Pfarrer der Sankt-Jakob-Gemeinde ist?«
»Hier in der Stadt? In der Sankt-Jakob-Kirche?« Als Ambick nickte, schüttelte sie den Kopf und sagte: »Das wusste ich nicht. Wie gesagt, ich lebe sehr zurückgezogen.«
»Und haben keinen Kontakt zu Ulrich Blier oder Alexander Wenger?«
Sie schüttelte den Kopf. »Das waren eher Peters Freunde.«
»Verstehe.« Ambick notierte sich das, fragte dann: »Der Vorfall damals … wie hat sich der genau abgespielt? Also, ich meine, wie Sie ihn erlebt haben.«
Ihre schmale Gestalt straffte sich. »Darüber möchte ich nicht mehr reden«, erklärte sie schroff. »Das habe ich alles mehrfach zu Protokoll gegeben, das muss genügen.«
»Ja, okay. Verstehe.« Ambick winkte ab. »Entschuldigen Sie. Es war nicht meine Absicht, alte Wunden wieder –« Er seufzte. »Tu ich aber wohl mit diesem Besuch?«
»Ja«, sagte sie.
Seine Gedanken überschlugen sich. Er hätte gern diese Melancholie von ihr genommen, den Schmerz ausgelöscht, der sie im Bann hielt, hätte sie so gern aus ihrem selbst geschaffenen Gefängnis befreit … Nichts davon war seine Aufgabe. Seine Aufgabe war es, einen Mann zu finden, der Gewalttätern Gewalt antat.
Was ihn ausgesprochen schwer ankam.
Ihm fiel keine weitere Frage ein, jedenfalls keine, die ihn in seinen Ermittlungen weitergebracht hätte. Also zog er eine seiner Visitenkarten hervor, fingerte nervös daran herum. »Tut mir leid«, sagte er, und obwohl der Satz auch zu seinen eingeübten Phrasen gehörte, war es in diesem Fall keine. »Das ist eben mein Job. Ich suche nach einem Anhaltspunkt, nach irgendetwas, das mich weiterbringt …« Er schob ihr die Karte hin. »Sollte Ihnen noch etwas einfallen, egal was … Sie erreichen mich unter dieser Nummer.« Er räusperte sich. »Würde mich freuen.«
Sie betrachtete die Karte, ohne sich zu rühren. »Finden Sie es verwerflich, was dieser … Racheengel tut?«
Ambick holte geräuschvoll Luft. »Es ist gegen das Gesetz. Ich meine, ich … ich kann verstehen, dass man mit jemandem, der so etwas tut, sympathisiert, aber … tja … es ist eben Selbstjustiz. Das geht einfach nicht.«
Ihre Augen schienen plötzlich von innen heraus zu leuchten, bannten seinen Blick. »Haben Sie schon einmal erlebt, wie jemand zu Tode geprügelt wird?«, fragte sie fast unhörbar leise. »Haben Sie schon einmal das Geräusch gehört, das entsteht, wenn ein Stiefel auf einen Schädelknochen trifft? Das Geräusch brechender Rippen? Haben Sie schon einmal gesehen, wie Haut unter Fußtritten aufplatzt, wie Blut herausspritzt? Haben Sie das, Herr Kommissar?«
»Nein«, bekannte er tonlos.
»Dann wissen Sie nichts. Dann wissen Sie nicht, was man sich in einem solchen Moment mehr wünscht als alles andere.«
»Ich kann es mir vorstellen.«
»Aber das bleibt es: eine Vorstellung.« Sie nahm die Visitenkarte an sich, schloss die Hand darum. »Ich glaube nicht, dass mir etwas einfallen wird. Aber ich werde Ihre Karte aufbewahren. Für alle Fälle.«
War es etwas in ihrer Stimme? Etwas in ihrem Gespräch, das seinem bewussten Verstand entgangen war? Was auch immer, Ambick war sich auf einmal sicher, dass sie mehr wusste, als sie ihm gesagt hatte.
Und dass sie entschlossen war, es zu verschweigen.
Ambicks Telefon klingelte, als er gerade wieder ins Auto steigen wollte. Er zerrte es unwillig aus der Manteltasche. »Ja?«
Es war Enno. »Ich hab diesen Ulrich Blier aufgestöbert.«
»Und?«
»Halt dich fest: Der ist Soldat. Feldwebel. Angehöriger des KSK und ausgebildeter Einzelkämpfer.«
25
Enno wartete schon, als Ambick auf dem Parkplatz des Kommissariats ankam. Ambick stieg aus, warf ihm den Schlüssel zu, sagte: »Du fährst«, und setzte sich auf die Beifahrerseite.
Enno beugte sich zur offenen Fahrertür hinab. »Sag mal …«, meinte er. »Was hat dir denn die Laune verhagelt?«
»Jetzt steig schon ein«, sagte Ambick nur.
Während sich Enno hinter dem Lenkrad
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