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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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schreit, ein Junge im T-Shirt, mit einem Schulranzen auf dem Rücken … Alex? Ulli? Überlebensgroß die Gestalten, die auf den Mann im grauen Anzug einschlagen, mit Fäusten wie Hämmern, mit Knien wie Rammböcken, mit Füßen wie Äxten. Ein Tornado aus Bildfetzen – die abgerissene Tasche an dem Jackett. Der Aktenkoffer, der nach einem Fußtritt mit schabendem Geräusch über den Gehweg davonschliddert. Die Autos, die vorbeirasen, WROOMM, WROOOOMM, WROOOOOOMM, von denen keines hupt, keines bremst, keines anhält.
    »Hallo? Gnädige Frau?«
    Und das Blut. Das Blut. Dunkle Tropfen auf dem Asphalt zuerst, dann kracht ein Fußtritt gegen den Kopf, und der Kopf, hilflos, rettungslos, baumelnd fast, knallt an die Unterseite des Stahlgeländers, ein dicker roter Strahl schießt aus der Nase, wird zur Lache um den entsetzlich zugerichteten Kopf herum, ein See aus Blut, der überläuft, hinaus ins Leere …
    »Ist Ihnen nicht gut?«
    Sie öffnete die Lider und sah in ein Paar großer, weißer Augen in einem tiefschwarzen Gesicht. Ein Mann, ein Afrikaner offenbar, der sie tief besorgt betrachtete.
    »Guten Tag«, murmelte Victoria.
    Das Gesicht wich ein Stück zurück, die Besorgnis wich nicht. »Ihnen ist nicht gut. Soll ich einen Krankenwagen rufen? Brauchen Sie irgendwelche Medikamente?«
    »Nein.« Victoria schüttelte den Kopf. Medikamente hatte sie mehr als genug im Leib. Zu viele sogar. »Danke. Es … es geht schon.«
    Jetzt wich die Besorgnis, aber sie wich Ärger. »Wieso sagen Sie, es geht schon? Ich sehe doch, dass Ihnen nicht gut ist. Wie stellen Sie sich das vor? Ich kann doch nicht einfach weitergehen und Sie hier stehen lassen!« Er sprach mit einem deutlichen Akzent, aber ohne Zögern und ohne nach Worten suchen zu müssen. »Kommen Sie. Lassen Sie den Mast los und kommen Sie mit. Ich bringe Sie zu einem Arzt. Hier um die Ecke ist eine Praxis.«
    »Nein, kein Arzt«, bat Victoria, ohne loszulassen. »Ich muss einfach nur nach Hause. Dann ist alles wieder gut.«
    »Nach Hause. Meinetwegen. Ich bringe Sie auch nach Hause. Wo wohnen Sie?«
    »In der Igelstraße. Das ist …« Sie hielt inne, außerstande, den Weg zu erklären.
    »Ich weiß, wo die Igelstraße ist«, sagte der Mann und hielt ihr den Arm hin. »Kommen Sie. Ich bringe Sie hin. Lassen Sie los.«
    Er klang richtiggehend verärgert. Er trug einen dunkelblauen Parka und eine dünne Ledermappe unter dem anderen Arm, eine große, stabile Gestalt, wie ein Sportler. Victoria ließ die Straßenlaterne zögernd los, hängte sich bei ihm ein, ging mit ihm.
    »Wie heißen Sie?«, fragte sie nach ein paar Metern.
    »Samuel«, sagte er. »Und Sie?«
    »Victoria.«
    Er räusperte sich. »Hören Sie, Victoria, sind Sie sicher, dass Sie nicht lieber zu einem Arzt wollen? Sie … wie soll ich sagen? Sie sehen so aus, als bräuchten Sie einen.«
    Victoria versuchte, langsamer und tiefer zu atmen, als ihre Lungen es von sich aus taten. »Das ist nur ein Angstanfall«, sagte sie. »Das passiert mir manchmal. Sobald ich zu Hause bin, ist alles wieder gut.«
    Er musterte sie zweifelnd von der Seite. »Denken Sie? Na gut.«
    Das Zittern in ihr ließ bereits nach. Neben diesem Mann, der sie mit dieser eigenartigen Mischung aus Hilfsbereitschaft und Entrüstung geleitete, kam ihr der Rückweg gar nicht so schwierig vor. »Woher kommen Sie?«, fragte sie.
    »Aus Tansania.« Es klang, als habe er diese Frage schon so oft beantwortet, dass er ihrer überdrüssig war. »Ich studiere Germanistik.«
    Die Leute sahen sie komisch an, stellte Victoria fest. Und schauten schnell wieder weg. Weil sie am Arm eines Mannes mit schwarzer Haut ging? Oder eher, weil sie betrunken wirkte, weggetreten, zugedröhnt?
    Sie hätte die vierte Pille besser nicht nehmen sollen.
    Sie hätte das Haus erst gar nicht verlassen sollen.
    Das Haus. Da war es. »Danke«, sagte sie, löste sich von ihm, durchsuchte ihre Taschen nach dem Schlüssel. Da war er.
    »Geht es Ihnen jetzt wirklich besser?«, fragte Samuel, der Germanistikstudent aus Tansania.
    »Viel besser.« Sie zögerte. »Kann ich Ihnen vielleicht etwas anbieten?«
    Er schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, nein, ich hab keine Zeit. Ich hab ein Seminar.« Er machte eine unbestimmte Handbewegung zur gegenüberliegenden Straßenseite. Victoria erinnerte sich dunkel, dass in einer Parallelstraße tatsächlich irgendwelche Institute der Universität untergebracht waren. »Ich muss los«, sagte er ungeduldig.
    »Danke noch mal«, sagte

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