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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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was dann? Wie würde das wirken?
    Vertrauen. Er musste vertrauen. Es war alles längst entschieden. Alles würde zur rechten Zeit geschehen.
    Dass ihm die U-Bahn vor der Nase wegfuhr – bestimmt hatte es seinen Sinn. Er musste darauf vertrauen.
    Aber er fror, siebzehn Minuten lang, bis die nächste kam.
    Er lief und lief. Auf dem Pfad des Kriegers. Hochhäuser, scharf und spitz, von eckigen Lichtern durchstochen. Autos, Taxen, Busse, ein endloser Strom. Und er zu Fuß. Es musste sein. Der Pfad. Auf einem Pfad konnte man nicht fahren.
    Stunden. Immer wieder Treppen, an denen er verschnaufen musste. So kalt. Und so leer. Nichts gegessen, seit Tagen nicht, kein Wunder, dass er fror.
    Motorräder. Menschen, die aus Häusern kamen, in Häusern verschwanden, aus Unterführungen sprudelten, an Haltestellen warteten. Redeten, lachten, schimpften. In ihre Handys schauten, Musik hörten, vor sich hin starrten.
    Wirklich Stunden? Er wusste es nicht. Manchmal kam es ihm vor, als sei es nur Minuten her, dass er aufgebrochen war. Dann wieder, als sei er schon tagelang unterwegs.
    Vertrauen. Sich der Flut ergeben. Sich der Einheit mit allem ausliefern. Einen anderen Weg gab es nicht, konnte es nicht geben.
    Aber warum kamen Aufzüge nicht, wenn er den Knopf drückte? Was hatten sie gegen ihn? Er wollte auf die Glasscheibe schießen, die leer blieb, aber er tat es nicht.
    Ruhe. Er musste zur Ruhe finden, unbedingt. Er musste das Auge des Hurrikans werden, spüren, sein. Die Gewalt eines Wirbelsturms in sich verkörpern.
    Und dann …
    Aber das zu entscheiden war nicht an ihm. Nein, nein. Es gab nichts zu entscheiden. Alles war, wie es war. Alles würde kommen, wie es kommen würde.
    Der Zustand der Gnade. Genau. Das war es.
    Gut, das zu wissen. Wenn es nur nicht so kalt gewesen wäre. Und ihn nicht dauernd Leute angerempelt, ihn böse angesehen, ihm zerbissene Schimpfworte nachgeworfen hätten.
    Er verzieh ihnen. Wie sollten sie wissen, dass er über sie wachte? Er erinnerte sich zwar gerade nicht daran, warum er das eigentlich tat, aber das spielte keine Rolle, das war nicht wichtig.
    Wichtig war, keine Zweifel aufkommen zu lassen. Zweifel zerstörten den Zustand der Gnade, und das durfte nicht geschehen. Auch wenn er schon stundenlang unterwegs war, so lange, dass er kaum noch Gefühl in den Beinen hatte, sich vorkam wie ein Eisklotz, all das war richtig, war richtig, war richtig, unbedingt war es das. Daran durfte er nicht zweifeln.
    Würden ihn Zweifel erwärmen? Eben.
    Nein, dem Pfad des Kriegers folgen. Eins mit allem. Er war Geduld. Alles würde zur richtigen Zeit geschehen. Es gab nichts zu beschleunigen, nichts zu bremsen, nichts zu verpassen … und nichts zu entscheiden.
    Gnade. Krieger. Über die Stadt wachen. Den finden, der den Tod verdient. Den Unschuldigen beistehen. Die Nacht durchqueren wie einen großen, lebenden –
    Da.
    Er blieb stehen, lauschte atemlos, die Augen weit geöffnet. Ein fernes, leises Stöhnen, übertönt vom Lärm der Stadt, vom Brausen des Verkehrs, unhörbar für gewöhnliche Ohren. Dumpfe Geräusche von Faustschlägen gegen einen menschlichen Körper. Schaben von Stoff über Metall. Er filterte alles aus, was nicht Schmerz, was nicht Angriff, was nicht Ungerechtigkeit war, und so konnte er es hören.
    Es kam aus dem Parkhaus dort drüben, jenseits der vierspurigen Schnellstraße. Jetzt sah er auch Bewegungen, auf der dritten Ebene.
    Das Signal. Er hatte gefunden, was er gesucht hatte. Er ging los, zügigen, elastischen Schrittes. Die Kälte: Er spürte sie nicht mehr.
    Er würde im richtigen Moment am richtigen Ort sein, sagte er sich, während er die Unterführung rasch durchquerte. Er würde das Richtige tun, sagte er sich, während er die Stufen auf der anderen Straßenseite emporstieg.
    Eine Imbissbude. Ein Dutzend Männer, Biergläser in der Hand und Bratwürste essend, um einen dröhnend lauten Fernseher versammelt. Geräusche eines Boxkampfs, hektische Moderatorenstimmen. Gleich dahinter das Parkhaus, wo in diesem Moment Gewalt geschah, und niemand außer ihm hörte es.
    Er betrat das Gebäude über die Ausfahrt, vorbei an einem Schild »Kein Zutritt für Fußgänger – bitte benutzen Sie den Eingang bei den Kassen«. Er stieg die Rampe hinauf, fasste in die Manteltaschen, legte die Hände um die Pistolengriffe und tastete nach dem Schalter, der seinen Anzug aktivieren würde …
    Als Professor Doktor Markus Neci das Parkhaus betrat, tat er es beschwingt. Ein erfolgreicher Tag lag

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