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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Zukunft vorhersehen? Besitzen Sie die Gabe der Allgegenwart?«
    »Ich werde geführt«, erwiderte die Stimme, an der kaum noch etwas Menschliches war. »Wenn ich mich durch die Stadt bewege, bin ich eins mit allem. Ich spüre die Anwesenheit aller Menschen in kilometerweitem Umkreis, ihre Sorgen, ihre Gefühle. Alles, was geschieht, sehe ich vor mir wie ein leuchtendes Netz. Alles, was ich tun muss, ist, den Signalen zu folgen. Ich bin im Zustand der Gnade: Deshalb bin ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um das Richtige zu tun.«
    »Ist das, was Sie tun, das Richtige? Zu töten?«
    »Ich töte nicht einfach, ich richte. Ich bereinige. Ich merze aus.«
    Ein Frösteln befiel Ingo, ein unbehagliches Gefühl, das ihm kalt die Wirbelsäule emporkroch, eine unbestimmte Vorahnung von etwas Entsetzlichem.
    Oder war es nur die seltsame Luft hier unten?
    Ja. Bestimmt.
    Er zwang sich, bei der Sache zu bleiben. Gut möglich, dass er gerade das Interview seines Lebens führte. Gut möglich, dass dies die Story war, die sein Leben in ein Davor und ein Danach teilen würde, eine von den Reportagen, von denen die Menschen noch Jahrzehnte später redeten. Konzentration also. Er hatte sich die Fragen unterwegs zurechtgelegt, er musste sie nur stellen.
    »Was ist das Geheimnis Ihres … nun, Ihres Kostüms ?«, fragte er. »Wieso leuchten Sie?«
    Der Racheengel bewegte sich eine Winzigkeit rückwärts. Sein Mantel umwallte ihn auf beeindruckende Weise, schien aus purem Licht zu bestehen. »Es ist ein Zeichen«, erklärte er. »Ein Symbol für die überirdische Kraft, die meine Schritte und mein Handeln lenkt.«
    »Wie lange werden Sie das tun? Wie lange gedenken Sie über unsere Stadt zu wachen?«
    Ein schauerlicher Blick traf Ingo aus Augen, deren Pupillen farblos zu sein schienen. »Von nun an für alle Zeit«, sagte der Racheengel. »Ich werde erst dann nicht mehr in Erscheinung treten, wenn alle ausgestorben sind, die nicht verstehen, was für sie auf dem Spiel steht.«
    »Glauben Sie, dass –?«
    »Schsch!« Er hob die Hand, brachte Ingo damit zum Schweigen, wandte den Kopf zur Seite und lauschte in die Dunkelheit.
    Ingo hielt den Atem an, warf mal wieder einen Blick ins Sucherdisplay. Was für Bilder! Was für geile Bilder! Wenn er das heute Abend sendete, würde morgen die ganze Welt von nichts anderem mehr reden.
    Mit einer unglaublich schnellen Bewegung holte der Racheengel zwei Pistolen aus den Manteltaschen, entsicherte sie mit elegantem, synchronem, wie beiläufig wirkendem Daumenschnipsen.
    »Ein Signal«, erklärte er knapp. »Jemand ist in Gefahr. Kommen Sie. Dokumentieren Sie das.«
    Damit drehte er sich um und rannte los, unglaublich schnell und leichtfüßig, die Pistolen in den erhobenen Händen, einem Geist ähnlicher als einem lebendigen Wesen.
    Irgendwo hatte Kevin aufgeschnappt, dass das Europacenter seit ewigen Zeiten eine Baustelle sei, aber er hatte sich darunter nichts vorstellen können. Nun sah er es mit eigenen Augen: breite Passagen, die einem Angst machen konnten in ihrer Verlassenheit. Zwei Drittel aller Schaufenster zugeklebt, die Läden leer. Ecken, in denen sich zerrissene Chipstüten, trockene Blätter und anderer Abfall sammelten und langsam verstaubten, weil sich niemand darum kümmerte. Er hörte ein fernes, irgendwie gruseliges Wummern, von dem er erst nach einer Weile merkte, dass es von den Rolltreppen stammte, die hinab zur U-Bahn führten. Und die Durchsagen ( »Achtung an Gleis 1; U-10 Richtung Wanndorf fährt ein.« ) hallten an manchen Stellen so seltsam, dass es einem vorkam, als höre man Stimmen aus der Unterwelt.
    Aber immerhin, ein paar Geschäfte gab es: eine Apotheke, einen kleinen Supermarkt, eine Videospielothek mit einem Schild Zutritt ab 16 Jahre an der Tür, einen Zeitschriftenladen, einen Schuhladen (der allerdings gerade Räumungsverkauf machte: »Nur noch 10 Tage! Alles muss raus! Bis zu 80 % reduziert!« ), einen Laden, der Kristalle verkaufte (und in dem sich sogar Kunden befanden, in rege Diskussionen mit der Verkäuferin vertieft) – und schließlich das Bowlingcenter .
    Erik war der Erste am Eingang. Er packte die Türgriffe … und nichts rührte sich. »Was ist denn jetzt?«, rief er und rüttelte heftig. »Kacke – haben die jetzt auch dichtgemacht?«
    »Reg dich ab, Mann«, meinte Sebastian und las die Zettel, die in einem Schaukasten neben der Tür hingen. »Die haben die Öffnungszeiten geändert. Die machen erst in einer halben Stunde auf. In vierzig

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