Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
war hier los? Das musste er herausfinden. Das musste er klären, ehe er irgendetwas tun durfte.
    Der Journalist stürzte an ihm vorbei, kümmerte sich nicht mehr um seine Kamera, hielt das Gerät nur noch achtlos am Haltebügel, rannte auf die Jungen zu – wieso tat er das? –, rief: »Kevin! Oh mein Gott, oh mein Gott, nein, nein … Was machst du denn hier? Was macht ihr denn alle hier?«
    Alex stand immer noch erstarrt, begriff nicht, fühlte sich, als habe ihn ein Zauber in eine Statue aus Porzellan verwandelt, inwendig hohl.
    Und in diesen Innenraum sickerte nun eiserne Verzweiflung.
    Er hatte nicht genau getroffen. Den einen Jungen, den, den der Journalist gerade vom Boden aufhob und in seine Arme schloss, hatte er in die Brust getroffen, dem anderen hatte sein Schuss nur das Ohr abgerissen. Heulend vor Schmerz lag der nun da, hielt sich die Seite des Kopfes, während Blut in hellem Schwall zwischen seinen Fingern hindurchquoll.
    Wieso hatte er verfehlt? Wieso, wenn doch geschah, was geschehen musste? Wieso, wenn er doch geleitet war und seine Kugeln immer ihr Ziel fanden?
    Der Journalist, unter dem Jungen am Boden sitzend, die Kamera umgestürzt neben sich, fummelte tränenüberströmt an seinem Mobiltelefon und schrie ihn an: »Sie Idiot! Sie haben auf die Falschen geschossen! Das sind bloß Kampfsportler, die hier trainiert haben!«
    Die Worte trafen Alex, wie ihn Kugeln nicht hätten treffen können. Wie Teufelsgeheul klangen die Schreie des Journalisten, die Schreie der anderen Jugendlichen wie Hohngelächter aus der Unterwelt. Der Boden unter seinen Füßen bebte – tat er das wirklich nur, weil gerade eine U-Bahn einfuhr?
    Er ließ die Pistolen sinken, begriff. Er hatte Unschuldige getroffen. Er hatte diesmal selber Unschuldige angegriffen. Er hatte selber den Tod verdient.
    War er denn nicht mehr geleitet?
    War er es je gewesen?
    Der Bann brach. Das Chaos um ihn herum, die Schreie, das Stöhnen, das Blut, all das schlug über ihm zusammen. Die Jungen, die unverletzt geblieben waren, setzten sich in Bewegung, kamen auf ihn zu, kamen von allen Seiten, entschlossen, ihn zu stellen, zu fangen, niederzuwerfen und zu richten. Und er konnte nicht mehr schießen, würde es nie mehr können, jetzt, da er aus der Gnade gefallen war und sich fragen musste, ob er je darin gewesen war.
    Er warf sich herum und flüchtete. In weiten, seine letzten Kräfte verzehrenden Sätzen raste er die Passage entlang, von Entsetzen getrieben. Erwischte die Rolltreppe abwärts, rannte die Stufen hinab, stolperte, fiel, schlug hart gegen irgendetwas. Ein scharfer Schmerz durchbohrte ihn, als die Wunde der vorigen Nacht wieder aufriss, lähmte ihn einen schweren, mühsamen Herzschlag lang.
    Da stand eine U-Bahn. Das Signal ertönte, die bevorstehende Abfahrt ankündigend. Alex kam hoch, plötzlich befeuert von einer Kraft, die ein widerliches Eigenleben in ihm führte, rannte los und schaffte es gerade noch in den nächsten Wagen, ehe die Türen krachend zuschlugen.
    Die Bahn fuhr los. Alex ließ sich gegen eine Trennwand sinken, rutschte langsam daran zu Boden wie von einer übermenschlichen Last niedergedrückt. Er hob den rechten Arm, sah, dass sein Mantel wieder schwarz war, aber er erinnerte sich nicht mehr, wann er das Licht abgeschaltet hatte.
    Kevins Blut war überall, an den Händen, den Klamotten, auf dem Boden.
    »Hallo?«, schrie Ingo ins Handy, als sich endlich jemand unter der Notrufnummer meldete. »Schnell, kommen Sie schnell. Hier hat es eine Schießerei gegeben, zwei schwer verletzte Kinder, eins in Lebensgefahr. Ich bin in der Passage des Europacenters.«
    Der Mann sagte irgendetwas, aber Ingo verstand ihn nicht in all dem Lärm, all dem Geschrei, das in der riesigen, gekachelten, menschenleeren Passage widerhallte. Und dann entglitt ihm das Telefon, rutschte ihm aus den klebrigen Händen, schlitterte einfach davon, und was sollte er machen, er hielt doch Kevin in den Armen, hielt ihn auf dem Schoß, und der Junge keuchte in heller Panik, kein Wunder, so, wie ihm das Blut aus der Brust sprudelte, Blasen schlug, ein Strom, der nicht zu stoppen war …
    Zwei der Jungs kamen mit einem Verbandskasten angestürmt, ein dicker, rotgesichtiger Mann in einem weißen Kittel hinterher, kurzatmig, der Apotheker vielleicht, aber was wollten sie denn machen, was denn, mit Mullkompressen und Pflastern?
    »Die sollen einen Krankenwagen schicken!«, schrie Ingo, so laut er konnte. »Nein, einen Hubschrauber! Und schnell,

Weitere Kostenlose Bücher