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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Brücke zu etwa einem Drittel überquert gehabt, waren gerade über den S-Bahn-Schienen gewesen. Sie hätten mindestens hundert Meter weit rennen müssen, um von der Brücke herunterzukommen und die Chance zu haben, zu entfliehen.
    Und sie waren noch Kinder gewesen!
    »Ich hatte so Angst«, stieß Peter unter Qualen hervor, »dass ich in dem Moment zu Gott gebetet habe.«
    Victoria riss die Augen auf. Schnappte nach Luft. Starrte ihn fassungslos an.
    Er sah es nicht. Den Blick starr ins Dunkel gerichtet, fuhr er fort: »Lieber Gott, habe ich gefleht, wenn du mich verschonst, werde ich dir dafür dienen. Dann werde ich Priester.«
    »Du?«, entfuhr ihr.
    »So war das. Das war der Moment.« Er sah sie kurz an, schaute gleich wieder weg. »Ich konnte es dir nicht sagen. Nicht damals. Ich kann es jetzt kaum.«
    »Aber …« Sie musste den Kopf schütteln. »Wie um alles in der Welt bist du auf diese Idee gekommen? Ausgerechnet du?«
    »Ich weiß nicht. Es war eben so. Genau so.«
    »Aber ausgerechnet du! Du hast immer erklärt, Gott gibt es nicht, kann es nicht geben, auf jeden Fall nicht so, wie es die Kirchen sagen. Du hast über die Bibel gespottet, hast jedem die ganzen Widersprüche darin um die Ohren gehauen, hast immer über den Papst geschimpft …«
    Sie brach ab. Unnötig, das weiter auszuführen. Er wusste, was sie meinte.
    Peter nickte langsam. »Ja. Ich kann es mir auch nicht erklären. Vielleicht war es so wie bei Saulus, habe ich mal überlegt. Der hat die Anhänger Jesu erst verfolgt und ist dann, nach einem Bekehrungserlebnis, zu seinem Apostel geworden …«
    Victoria stieß unwillkürlich einen Schrei aus, der im Kirchenschiff schauerlich widerhallte. »Das glaubst du doch nicht im Ernst, oder? Dass Gott Herrn Holi hat umbringen lassen, um dich, Peter Donsbach, zu bekehren?«
    Er sank in sich zusammen. »Wenn man es so formuliert, klingt es tatsächlich bescheuert, das muss ich zugeben.«
    »Weil es bescheuert ist , deshalb.«
    »Ja.« Er nickte matt. »Du hast recht. Es war auch … nicht das, was ich wirklich geglaubt habe. Nur ein Gedanke. Eine Frage. Eine … Was auch immer.«
    Er versank in brütendes Schweigen.
    »Und weiter?«, fragte Victoria endlich.
    »Nichts weiter. Das war der Grund, warum ich Priester geworden bin. Ein Gelübde.«
    »Deswegen hättest du mich trotzdem nicht einfach fallen zu lassen brauchen.«
    Peter atmete geräuschvoll aus. »Stimmt. Das war nicht richtig.«
    »Du hättest es mir wenigstens sagen können. Mir erklären . Anstatt mich fünfzehn Jahre lang rätseln zu lassen, was passiert ist.«
    »Ja. Theoretisch.«
    »Was heißt theoretisch?«
    Er holte so mühsam Luft, als sei eine Metallfeder um seinen Brustkorb gespannt. »Es war ein Gelübde, das ich da auf der Brücke abgelegt habe, verstehst du nicht? So habe ich es empfunden. Ein heiliges Versprechen. Und danach … nach dem Vorfall …«
    »Ja?«
    »Ich hatte Angst, es zu brechen. Klar, ich hätte mir sagen können, das war nur der Moment, ich habe mich halt gefürchtet, da denkt man schon mal so Zeug – aber ich hatte Angst, dass mir dann was Schlimmes passieren würde. Dass ich eine grässliche Krankheit bekomme. Oder in einem Unfall sterbe. Egal, irgendwas Schreckliches halt. Dass mich Gott strafen würde.«
    »Das ist doch Aberglaube«, sagte Victoria.
    »Ja. Ich weiß. Das hab ich mir damals auch gesagt. Aber es war stärker als ich. Ich hab nicht gewusst, dass ich so abergläubisch bin.« Er lachte kurz und traurig auf. »Später habe ich gehofft, Priester zu werden hilft mir vielleicht wenigstens, meinen Aberglauben zu überwinden.«
    Victoria sank gegen die Lehne der Kirchenbank, strich sich erschöpft die Haare zurück. »Ich verstehe es trotzdem nicht.«
    Er sagte nichts, saß nur schweigend da, den Blick auf den Boden gerichtet, auf die jahrhundertealten Steinfliesen.
    »Peter?«, hakte sie nach. »Du hättest kommen und mir auch das erklären können. Vielleicht hätte ich es nicht verstanden. Wahrscheinlich wäre ich schrecklich enttäuscht gewesen. Aber du hättest es wenigstens versuchen können.«
    Er schluckte schwer und flüsterte dann: »Ich hatte Angst, du redest es mir aus.«
    »Was?«
    »Ich hatte Angst, wenn ich es dir sage, redest du es mir aus.«
    »Nicht im Ernst.«
    Jetzt sah er sie an. »Du hättest damals genauso geredet wie heute. Mir all das vorgehalten, was ich selber gegen die Kirche, die Religion, die Bibel gesagt hatte. Du hättest mich dazu gebracht, es zu verwerfen, zu sagen,

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