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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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reden.«
    »Doch, hab ich. Ist ja sozusagen mein Beruf«, sagte Peter, der ebenfalls erleichtert wirkte.
    Aber vielleicht war er es nur, weil Ulrich ihn aus dem unangenehmen Gespräch erlöst hatte, dachte Victoria.
    »Hallo«, flüsterte sie. Ulli lächelte ihr zu, in derselben neutralen Art wie früher. Sie war nie sein Typ gewesen; das schien sich nicht geändert zu haben.
    »In den Nachrichten hieß es, sie hätten dich verhaftet«, sagte Peter.
    Ulrich nickte. Knapp. Militärisch. »Haben sie auch. Aber sie haben mich wieder laufen lassen. War ein Irrtum.«
    »Sie haben den Racheengel gesucht.«
    »Ja. Aber da haben sie sich bei mir vertan. Ich lauf nicht nachts durch U-Bahnhöfe und knall Leute ab.« Ulrich hüstelte. »Und wenn, würde ich’s nicht mit ’ner russischen Knarre machen.«
    »Die Polizei weiß inzwischen, dass es Alex ist.«
    »Alex? Echt jetzt?« Ulrich blies die Backen auf, entließ die Luft mit einem leisen Prusten wieder. Er wirkte verdutzt, aber nicht so, als erschüttere ihn das sonderlich. »So was. Späte Rache, oder? Nein, kann nicht sein. Der hat ja irgendwelche jungen Schlägertypen umgelegt, die einen alten Mann fertigmachen wollten.« Er schüttelte den Kopf. »Ich hab ehrlich gesagt fast alles vergessen, was damals passiert ist. Wie hieß der Mann, der uns verteidigt hat? Hohl, irgendwas mit Hohl.«
    »Holi«, sagte Peter. »Florian Holi.«
    »Holi. Genau.«
    »Und er hat uns nicht einfach verteidigt, er ist für uns gestorben.«
    »Stimmt. Sozusagen. Hässliche Geschichte, ja.«
    Victoria richtete sich auf, was seinen Blick auf sie wandern ließ. »Wie kann man so etwas vergessen?«, fragte sie und spürte Entsetzen bei der Vorstellung.
    Ulrich hob die Schultern, wirkte milde verlegen. »Na ja. Als es vorbei war, war es vorbei. Ich hatte keine Lust, viel darüber nachzudenken. Hätte ja nichts genutzt. Niemanden wieder lebendig gemacht.«
    Die Welt schloss sich wie eine Blase um Ingo und Kevin. All das Gerenne, Geschreie und Gejammere verschwamm zu fleckigem Nebel, der den Rest des Universums ausfüllte. Es gab nur noch ihn und Kevin, der schlaff und zitternd in seinen Armen lag, ein magerer, irgendwie zerbrochen wirkender Körper mit blasser, feuchter Haut, der sich ihm ganz ergeben hatte, sich ihm restlos anvertraute. Kevin hatte die Augen geschlossen, hechelte mit halboffenen, bleichen Lippen.
    »Halt durch«, flüsterte Ingo wieder und wieder. »Sie sind unterwegs, sie kommen jeden Moment. Das kriegen die hin, wirst schon sehen. Gar keine Frage. Die moderne Medizin kann heutzutage Sachen, da macht man sich gar keine Vorstellung …«
    Kevins tapfer schlagendes Herz pumpte immer weiter Blut unter der Mullbinde hervor, hellrotes Blut, das Blasen schlug bei jedem seiner hektischen Atemzüge. Warm und klebrig rann es über Ingos Finger, machte sie glitschig, lief und lief, unentwegt, tränkte T-Shirts, Hosenbeine, Jacken, sammelte sich auf dem gekachelten Boden zu einer unfassbar großen Lache.
    »Durchhalten. Kevin. Sie sind gleich da. Ich glaube, ich kann sie schon hören.« Das war gelogen; er hörte gar nichts, aber wenn es dem Jungen half, durchzuhalten, dazubleiben, warum nicht? »Kann sich nur noch um Augenblicke handeln, hey, was sagst du dazu? Du schaffst das. Ich weiß, dass du das schaffst. Ein so toller Junge wie du schafft alles, was er will –«
    Kevin bäumte sich auf. Seine Augen flatterten, seine Lippen waren inzwischen fast blau.
    »Mama« , wollte er rufen, doch die zweite Silbe ertrank in Blut, das ihm urplötzlich aus dem Mund quoll.
    Dann starb Kevin. Ingo konnte nur zusehen, wie es geschah, aber nichts dagegen tun; ihn nicht halten, nicht zurückholen, nichts. Den Verband auf die Wunde zu pressen nützte einen Scheißdreck. Er hielt den Jungen fest, ganz fest, aber das Leben entwich trotzdem aus ihm. Er konnte spüren, wie es davonzog und nur den Körper zurückließ, der plötzlich reglos wurde, leer, sich schwerer anfühlte als vorher, nicht mehr wie ein Mensch, sondern nur noch wie ein weicher, schwerer Gegenstand.
    Das Blut hörte auf zu sprudeln. Die Zeit kam zum Stillstand. Von nun an würde er so sitzen bleiben, Kevins Leib auf dem Schoß, die Kleidung durchweicht von erkaltendem Blut. Bis in alle Ewigkeit würde er so verharren und über ihn wachen, über den ewigen Schlaf des Jungen.
    Doch irgendwann tauchten weiße Hosenbeine vor ihm auf, die zu Männern in orangeroten Jacken gehörten. Der eine Sanitäter löste mit sanfter Gewalt die Arme, die

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