Todesengel: Roman (German Edition)
Finger schwebte unentschlossen über den Tasten. »Ja. Stell dir vor. Aber wenn du ab und zu das Fernsehprogramm des Senders anschauen würdest, der deine Miete zahlt, wüsstest du, dass wir das schon seit Jahren so machen. Heute passiert, morgen in Anwalt der Bürger . Oder wie immer die Sendung gerade heißt. Alles unterhalb von kopfloser Hektik gilt in diesen heiligen Hallen als Faulheit.« Er drückte Espresso doppelt . »Hab ich ›heilig‹ gesagt? Gemeint sind natürlich eilige Hallen .« Er lachte lauthals über seinen eigenen Witz.
Ein Mensch tauchte auf, in dem Ingo nach einer Schrecksekunde den Nachrichtensprecher Jürgen Songda erkannte, einen der Anchor Men von City-TV. Während die beiden zusahen, wie Rados doppelter Espresso in den Pappbecher gurgelte, zogen sie einander mit allerlei derben Anspielungen auf, die Ingo größtenteils nicht kapierte. Insiderwitze und Bürotratsch wohl. Er beobachtete das Gespräch mit Beklemmung. Auf dem Bildschirm wirkte der Mann immer so seriös! Ihn derart locker herumwitzeln zu sehen war … bestürzend. Es zeugte von einer Selbstsicherheit, die Ingo an sich selbst schmerzlich vermisste.
»Wäre ein bisschen mehr Vorlauf nicht trotzdem besser?«, meinte er, als der Nachrichtensprecher wieder weg war.
»Hey, lass das meine Sorge sein, okay?« Rado stürzte die Hälfte der dunklen Brühe hinunter. »Außerdem hab ich den ersten Gast schon. Ein gewisser David Mann. Hat sich heute Vormittag per Mail gemeldet. Ich hab sofort mit ihm telefoniert und ihn für Montag in die Sendung geholt.«
»Oh.« Ingo hatte bereits jetzt Muffensausen in Orkanstärke.
»Der hat sich gestern Nachmittag gegen vier Typen verteidigt, die ihm mit antisemitischen Sprüchen gekommen sind. Weil er sich dummerweise nicht hat zusammenschlagen lassen – er gibt Unterricht in Selbstverteidigung; dumm gelaufen für die vier –, kriegt er womöglich eine Klage wegen überzogener Notwehr an den Hals.« Er winkte, als eine schlanke Frau mit elfenhaft blonden Haaren aus den Kulissen trat und sich suchend umsah. »Diana! Hier!«
»Und ich dachte schon …«, sagte die Frau, verriet dann aber nicht, was sie gedacht hatte.
»Diana, ich darf dir Ingo Praise vorstellen, ab Montag Moderator von Anwalt der Opfer «, säuselte Rado. »Ingo, das ist Diana Fröse, die Produzentin der Sendung. Diana, was sagst du?«
Sie beäugte Ingo von oben bis unten. »Schwerer Fall«, befand sie kurzerhand. »Zu mager. Zu blass. Klamotten indiskutabel. Schlampig. Ohne Stilgefühl. Altmodisch.«
»He, das ist nur mein Freizeitlook!«, verteidigte Ingo sich und hatte das Gefühl, rot zu werden.
»Ach so?« Die Produzentin rang sich ein Lächeln ab. »Das mit der Blässe gibt sich gerade. Aber ich fürchte, ich will trotzdem nicht wissen, wie Ihr Businesslook aussieht.«
»Das ist doch kein Problem für deinen Fundus, oder?«, meinte Rado.
Sie kniff abschätzig die Augen zusammen. »Ich überlege gerade … nein, ich fürchte, da wird unser geliebter Sender Geld investieren müssen. Kennen Sie das Schirbini-Center?«, wandte sie sich an Ingo.
Ingo nickte verdutzt. »Ja.« Klar kannte er das riesige Edel-Einkaufszentrum, das wie eine silberne Muschel über der Innenstadt thronte. Er verkehrte dort nur nie, weil die Läden darin ein in seinen Augen völlig durchgeknalltes Preisniveau pflegten.
»Gut. Wir treffen uns Montagfrüh vor dem Haupteingang. Sagen wir um neun, wenn sie aufmachen«, meinte sie mit einer Bestimmtheit, die so gar nicht zu ihrer zarten Erscheinung passen wollte. »Wir kleiden Sie ein und verpassen Ihnen auch gleich einen guten Haarschnitt.«
»Okay, dann wäre das geklärt«, stimmte Rado zu und machte sich eine Notiz. »Anschließend kommt ihr hierher für die Vorbereitungen. Die Sendung wird um fünfzehn Uhr aufgezeichnet«, erklärte er, an Ingo gewandt.
Eine Aufzeichnung. Das fand Ingo beruhigend. Sie würden also seine schlimmsten Patzer rausschneiden können.
»Okay«, sagte die Produzentin, »bis Montag dann.« Sie spendierte noch ein flüchtiges Lächeln und düste wieder davon.
Ingo sah ihr nach. »Wenn sie die Produzentin ist«, fragte er, »was ist dann dein Part?« Die komplizierten Zuständigkeiten der Firma waren ihm nach wie vor ein Rätsel.
»Mein Part sind die Inhalte, was denn sonst?«, erwiderte Rado, als müsse das jedem mit einem Intelligenzquotienten von halbwegs Zimmertemperatur klar sein. »Ich muss ja die Doppelverwertung managen – hier Fernsehen, da Zeitung. Plus
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