Todesengel: Roman (German Edition)
nicht damit gerechnet, den gesamten Samstagvormittag auf der Polizeiwache verbringen zu müssen. Eine Zeugenaussage, das ging ja schnell, hatte er gedacht. Doch dann hatte man ihn gebeten zu warten, ihn eine Stunde später vertröstet, es dauere noch ein wenig, und als er verlangt hatte, einen anderen Termin auszumachen und gehen zu dürfen, war die Antwort ein unverblümtes Nein gewesen. Der Staatsanwalt habe alle derartigen Fälle bis auf Weiteres an sich gezogen, er sei auf dem Weg hierher, nur komme er eben aus der Stadtmitte, und die Strecke bis raus nach Spannwitz, na, er wisse ja, wie das sei mit dem Verkehr …
Und jetzt das. Ein regelrechtes Verhör. Er ahnte schon, worauf das hinauslaufen würde.
Der Staatsanwalt studierte das Protokoll seiner Zeugenaussage. »Sie sind Kampfsportlehrer?«
»Nein«, sagte David Mann.
Wieder dieser indignierte Blick. Er wirkte außerdem ein wenig übernächtigt, der Herr Staatsanwalt. »Hier steht, Sie leiten eine Schule für Krav Maga. Ich habe nachgeschlagen. Das ist ein israelischer Kampfsport.«
»Ein verbreitetes Missverständnis. Krav Maga ist kein Sport, sondern eine Technik. Ein Selbstverteidigungssystem. Im Kampfsport geht es um Wettkämpfe, um Preise, Ranglisten, schwarze Gürtel, Dan-Grade und solches Zeug. Das gibt es im Krav Maga alles nicht. Hier geht es nur darum, einen Kampf Mann gegen Mann zu überleben.«
Der Staatsanwalt hatte ihm zugehört und dabei die ganze Zeit genickt. »Und das können Sie?«
»Das weiß man immer erst hinterher. Gestern war es zum Glück so.«
»Sie haben ja nicht nur überlebt, Sie sind sogar praktisch unverletzt geblieben.«
»Glück. Wie gesagt.«
»Wirklich?« Der Staatsanwalt sah ihn eindringlich an. »Beweist das nicht, dass Sie im Grunde Herr der Lage waren?«
David Mann holte tief Luft. Er hatte den Kampf noch vor seinem inneren Auge. Wie er zuerst den Schlag von der Seite abgewehrt hatte, dann mit voller Wucht auf den Anführer losgegangen war, gleichzeitig mit der zusammengerollten Zeitung nach dem Auge des Dritten gestoßen hatte, wie er einem mörderischen Fausthieb nur knapp hatte ausweichen können …
»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte er, obwohl er wusste, was der Staatsanwalt damit sagen wollte.
»Dass Sie eventuell nicht so hart hätten zuschlagen müssen, wie Sie es getan haben.«
Sie waren von drei Seiten gekommen, und sie hatten keinerlei Hemmungen erkennen lassen, im Gegenteil. Wenn ihn auch nur ein einziger ihrer Schläge oder Tritte aus dem Gleichgewicht geworfen hätte, hätten sie ihn zu Fall gebracht, und wenn er erst am Boden gelegen hätte … Nun, darüber wollte er lieber nicht so genau nachdenken.
»Sie waren selber noch nie in einer solchen Situation, nicht wahr?«, sagte David Mann.
»Ich würde es vorziehen, dass Sie meine Fragen beantworten, nicht umgekehrt«, erwiderte sein Gegenüber spitzlippig.
»Okay.« Er verschränkte die Arme. »Also – es gehört zur Überlebensstrategie, in einem Kampf so hart zuzuschlagen, wie man nur kann. Denn man weiß nie, ob man noch die Chance für einen nächsten Schlag bekommt.«
Der Staatsanwalt legte die Fingerspitzen vor dem Mund zusammen und räusperte sich vernehmlich. »Bemerkenswert. Ihre Offenheit, meine ich. Ich glaube, wir sollten die Einvernehmung an dieser Stelle unterbrechen, damit Sie Gelegenheit haben, sich mit Ihrem Anwalt zu beraten.«
David Mann hob die Brauen. »Werde ich denn einen brauchen?«
»Ganz bestimmt«, sagte der blonde Staatsanwalt, dem der theoretische Krav-Maga-Unterricht nicht zugesagt zu haben schien. »Der Geschädigte wird Sie meiner Erfahrung nach auf Schmerzensgeld verklagen, seine Krankenkasse auf Beteiligung an den Arztkosten – und ich muss prüfen, ob Sie wegen überzogener Notwehr zu belangen sind.«
»Interessante Wortwahl«, meinte David Mann.
»Bitte?«
»Wen Sie hier als Geschädigten bezeichnen.«
Der Staatsanwalt musterte ihn irritiert, schien aber nicht zu verstehen, wie das gemeint war. Er räusperte sich wieder, blätterte in seinen Unterlagen und erklärte schließlich, zum Abschluss die Angaben zur Person gegenprüfen zu wollen. »Sie sind geboren in Offenbach?«
»Ja.«
»Ihr Vater heißt Peter Mann –«
»Hieß. Er lebt nicht mehr.«
Ein Augenblinzeln. »Ach ja. Stimmt, das steht hier. Ihre Mutter heißt Ruth Mann, geborene Steiner –«
»Genau genommen ist ihr Geburtsname Scherbaum. Die Familie Steiner waren Nachbarn meiner Großeltern; sie haben meine Mutter während
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