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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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wir, weil wir es schon oft erlebt haben – viel zu oft. Politiker sämtlicher Parteien hätten ihre Betroffenheit zum Ausdruck gebracht. Der Bundespräsident hätte zu mehr Zivilcourage aufgerufen. Und die Angreifer wären irgendwann in den kommenden Monaten zu ein paar Jahren Jugendgefängnis verurteilt worden, vielleicht sogar nur zu Bewährungsstrafen.«
    Seine Wahrnehmung des Studios veränderte sich. War es zuvor ein überwältigend gefahrvoller, dunkler Ort gewesen, an dem jeder falsche Schritt verheerend sein konnte, erschien es ihm nun wie eine schützende Hülle, die sich zwischen ihn und die Welt geschoben hatte, wie ein Raum, der es ihm erlaubte, sich zu zeigen, wie er war, und zu sagen, was er immer hatte sagen wollen.
    »Doch das ist nicht geschehen. Der alte Mann hat überlebt, stattdessen sind seine Angreifer tot – getötet von einem unbekannten Retter, der gerade noch rechtzeitig eingegriffen hat. Diesen Retter bezeichnet die Öffentlichkeit seither als ›Racheengel‹, und die Polizei fahndet nach ihm. Anscheinend ist es in diesem Land nicht erwünscht, dass man Schwächere gegen Stärkere verteidigt.«
    Das war ihm so herausgerutscht, weil er allmählich in Fahrt kam. Er erschrak. Der Aufnahmeleiter machte plötzlich große Augen, im Publikum murrte jemand und jemand anders hustete und wieder jemand anderes sagte etwas, das wie Das ist ja allerhand! klang.
    Egal. Weitermachen. »Mein erster Studiogast ist jemand, dem letzten Freitagnachmittag Ähnliches widerfahren ist. Er wurde in einer Unterführung in Spannwitz von vier, wie man so sagt, gewaltbereiten Jugendlichen attackiert. Was seine Angreifer nicht geahnt haben, war, dass er eine Schule für Selbstverteidigung leitet. Deswegen liegen sie heute im Krankenhaus, er dagegen ist hier in unserer Sendung. Bitte begrüßen Sie mit mir David Mann!«
    Es wurde höflich applaudiert, als ein überraschend schmalschultriger Mann die Bühne durch ein von blinkenden Lichtern umrahmtes Portal betrat. David Mann sah unscheinbar aus, geradezu durchschnittlich – ein Mann Mitte vierzig mit kurzen schwarzen, sich schon auf dem Rückzug befindlichen Haaren und einer kleinen Narbe auf der Stirn.
    Zumindest wirkte er unscheinbar, bis man ihm in die Augen blickte. Etwas Ungewöhnliches lag in diesem Blick, in diesen blaugrau umsäumten Pupillen. Klarheit. Entschiedenheit. Unbeeindruckbarkeit.
    Es verschlug Ingo für einen Moment die Sprache. Zum Glück gab es gerade sowieso nichts zu sagen; es genügte, auf einen der beiden Sessel zu weisen, die für die Gäste bereitstanden, und sich selber auf den Stuhl des Moderators zu setzen.
    Dann retteten ihn seine Karten. Seine vorbereiteten Fragen. »Herr Mann, Sie sind Inhaber und Leiter einer Schule für Krav Maga«, begann Ingo. »Können Sie uns kurz erklären, was das ist?«
    »Kurz gesagt ist das eine Selbstverteidigungstechnik, die in den Dreißigerjahren in der Slowakei entstand und später in Israel weiterentwickelt wurde.«
    »Also so etwas wie Jiu-Jitsu oder Karate?«
    »Ungefähr so, ja. Tatsächlich hat der Begründer, Imrich Lichtenfeld, viele Techniken aus dem Jiu-Jitsu und anderen Quellen übernommen – alles, was funktioniert hat. Ein wesentlicher Unterschied ist aber, dass Krav Maga sich nicht als Sport versteht. Es gibt keine Wettkämpfe, keine Pokale, keine Ranglisten. Es geht darum, gewalttätige Auseinandersetzungen zu überstehen, und nur darum. Deswegen lernt man im Krav Maga nicht nur Schlag- und Tritttechniken, sondern auch, Gefahrensituationen frühzeitig zu erkennen, verbale Deeskalation, Übungen, um unter Stress richtig zu handeln, und vieles mehr.«
    »Die verbale Deeskalation hat letzten Freitag nicht funktioniert?«
    »Nein.«
    »Aber dafür die Schlag- und Tritttechniken.«
    Es war als scherzhafte Bemerkung gedacht gewesen, doch David Mann lächelte nicht. »Es ist gut, vorbereitet zu sein, doch das macht einen nicht unverwundbar. Ich hatte Glück. Und unfähige Gegner.«
    »Daraus will Ihnen die Staatsanwaltschaft nun einen Strick drehen.«
    Er nickte, furchte die Brauen. »Zumindest hat es sich bei meiner Vernehmung so angehört. Aber Lichtenfeld hat Krav Maga damals in Bratislava entwickelt, weil er wollte, dass sich Juden gegen antisemitische Überfälle wehren können. Da der Staatsanwalt inzwischen gemerkt hat, dass ich es zu genau dem Zweck angewandt habe, hat er es sich vielleicht anders überlegt.«
    Ingo leckte sich nervös die Lippen, ließ es wieder, als es ihm zu

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