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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Ich komme gern, ich bin nur ganz verblüfft …« Ingo hatte das Gefühl, Unsinn zu reden. Wahrscheinlich redete er tatsächlich Unsinn. Wahrscheinlich würde es ihm morgen im Studio genauso gehen. »Wissen Sie, für die Leute vom Sender ist das Routine. Die drehen eine Folge ab, fahren nach Hause und freuen sich über ihren Feierabend. Die machen das ja jeden Tag. Das ist so eine Art Sendung, die man nur als Füllmaterial zwischen Werbeblöcken produziert, da darf man sich nichts vormachen.«
    Sie schwieg einen furchterregenden Moment lang.
    »Sie werden etwas Gutes daraus machen«, erklärte sie schließlich. »Halb acht?«
    »Halb acht«, erwiderte Ingo und staunte über das Maß der Vorfreude, die ihn plötzlich erfüllte.

13
Andere bezeichneten Tim Kerner als »dick«, er selber gab dem Wort »beleibt« den Vorzug. »Dick« implizierte einen ungesunden, dem Genuss hingegebenen Lebenswandel, und davon konnte bei ihm weiß Gott nicht die Rede sein. Zum Beispiel war seine erste Handlung, als er an diesem Montagmorgen das Kriminallabor für Biologische und Chemische Analytik betrat, die, den mitgebrachten Imbiss – bestehend aus einem mageren Bio-Joghurt, zwei Vollkornbroten mit Aufstrichen aus dem Reformhaus und einem Apfel aus Demeter-Anbau – im Kühlschrank zu verstauen. Aus diesem würde er ihn pünktlich um halb zwölf entnehmen, um ihn um zwölf Uhr, wenn er annähernd Zimmertemperatur hatte, zu verzehren. Dieser arbeitstäglichen Routine folgte er seit über zwanzig Jahren, die er hier nun schon mit DNA-Analysen, Untersuchungen von Textilien, insbesondere von Stichspuren darin, von Humanspuren wie Lippen-, Haut-, Ohr- und Fußabdrücken, Bodenuntersuchungen und Materialbestimmungen verbrachte.
    Tim Kerner, der einen Doktor in Chemie hatte, liebte seinen Beruf. Er liebte speziell diesen Laborraum im Keller, den andere eng und bedrückend fanden, in dem er sich jedoch ausgesprochen wohlfühlte. Weite Plätze, große Hallen – das waren Orte, die ihm Unbehagen bereiteten. Nicht, dass er Probleme damit gehabt hätte, nein. Unbehagen eben. Aus diesem Grund aß er auch nicht in der Kantine, die ihm einfach zu riesig und unübersichtlich war, sondern brachte sich sein Mittagessen mit und fertig.
    Ganz besonders liebte er seinen Beruf an Tagen, an denen er wusste, dass ihn eine große Kiste voller zu sichtender Spuren erwartete. Die Aussicht, es von morgens bis abends mit lauter Fipselkram zu tun zu haben, begeisterte ihn geradezu.
    Heute war einer dieser Tage. Seit Dienstagnachmittag arbeitete er an dem Material, das die Kollegen vom Außendienst am Stuttgarter Platz eingesammelt hatten, und allein es zu sichten würde ihn noch locker bis Mitte der Woche beschäftigen. Er setzte sich frohgemut an seinen Tisch, schaltete die Arbeitslampe ein, zog den Metallkasten heran und nahm den nächsten Plastikbeutel heraus.
    Auf den ersten Blick sah er leer aus. Doch wenn man genauer hinsah – und Tim Kerner war geübt darin, äußerst genau hinzusehen –, entdeckte man eine dunkle Faser darin, haardünn, etwa vier Zentimeter lang.
    Okay. Er öffnete den Beutel, entnahm die Faser mit einer Pinzette. Keine Stofffaser, das sah er sofort. Vielleicht ein Haar aus einer billigen Perücke? Er legte die Faser auf einen Objektträger und schob diesen unter eines seiner Mikroskope.
    Hmm, hmm, hmm.
    Ein Haar war es definitiv nicht. Haare sahen unter dem Mikroskop aus wie endlos lange Tannenzapfen, eine Schuppenstruktur, die man sofort erkannte.
    Ein Kunststoff also. Aber einer, den er nicht kannte. Die Haare von Kunsthaarperücken bestanden üblicherweise aus Kanekalon, chemisch Polyacrylnitril, das man auch in billigen Decken, Kunstpelzen und Pullovern verwendete. Damit hatte er es hier – er machte ein paar rasche Tests, um sicherzugehen – nicht zu tun.
    Doch was war es dann? Der Blick durch das Mikroskop zeigte eine Oberflächenstruktur, wie sie Tim Kerner noch nie im Leben gesehen hatte. Es sah aus, als sei da eine Spirale noch einmal zu einer Spirale gewickelt worden – und als verberge sich unter all dem ein noch komplizierteres Gebilde.
    Sehr seltsam. Eine Herausforderung. Darüber würde er nachdenken müssen.
    Er stopfte die Faser zurück in den Fundbeutel und legte diesen in eine Plexiglasschachtel mitten auf seinem Schreibtisch, zwischen Telefon und Terminkalender: sein Asyl für ungeklärte Fälle.
    Nach dem Telefonat wurde Peter Donsbach von Erinnerungen, Gedanken, Zweifeln und Selbstvorwürfen überwältigt. Es

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