Todesengel: Roman (German Edition)
Bewusstsein kam. Die nächste Frage war heikel, aber notwendig. »Für Ihren Entschluss, Krav Maga zu lernen und zu lehren – welche Rolle hat es da gespielt, dass Sie Jude sind? Hatten Sie von jeher das Gefühl, Sie müssten sich hier in Deutschland verteidigen können?«
David Mann schüttelte den Kopf, ließ endlich so etwas wie ein Lächeln aufblitzen. »Nein, nein. Ich will die Probleme, die es gibt, nicht kleinreden, aber ich persönlich hatte deswegen nie sonderliche Schwierigkeiten. An Krav Maga bin ich geraten, als ich eine Zeit lang in Israel gelebt habe. Es hat mich einfach fasziniert – die nüchterne Philosophie dahinter, die rasche Umsetzbarkeit und die Fitness, die es nebenbei mit sich bringt. Bis dahin hätte ich überhaupt nicht gedacht, dass mir so etwas liegen könnte; als Kind war ich eher der Typ Bücherwurm.«
»Wann waren Sie in Israel?«
»Das war …« Er musste überlegen. »Ist schon eine Weile her. Ich habe nach meiner Bundeswehrzeit angefangen, Psychologie zu studieren, kurz darauf ist mein Vater gestorben, und meine Mutter hat beschlossen, nach Israel zu ziehen. Ich habe sie begleitet, hatte das Gefühl, ich müsse ihr helfen, sich einzuleben. In Wirklichkeit bin ich mit, weil ich gemerkt hatte, dass das Studium nicht das Richtige für mich war. Ich wusste damals aber auch nicht, was ich stattdessen mit meinem Leben anfangen sollte. Na ja, und in Haifa hat im Nebenhaus jemand gelebt, der Krav Maga gemacht hat. So fing das an.«
»Sie sind aber nicht in Israel geblieben. Warum?«
David Mann blies nachdenklich die Backen auf, ehe er antwortete. »Also, es war natürlich alles aufregend und interessant dort, und in gewisser Weise habe ich mich auch zu Hause gefühlt – aber in anderer Weise auch wieder nicht. Es hat mich die ganze Zeit zurück nach Deutschland gezogen. Meine Freunde, mein Umfeld – das war alles hier. Und ehrlich gesagt ist mein Hebräisch auch immer auf einem ziemlich blamablen Niveau geblieben. So bin ich nach drei Jahren zurückgekommen und habe angefangen, diese Kurse zu geben. Später habe ich meine eigene Schule aufgemacht.«
»Und nun droht die Staatsanwaltschaft, Ihre Erfahrung gewissermaßen gegen Sie zu verwenden?«
David Mann neigte den Kopf. »Falls nicht der Staatsanwalt, dann die Krankenversicherung der Angreifer. Das ist leider ein Damoklesschwert, das über allen Kampfsportlern schwebt. Anwälte bezweifeln in solchen Fällen, dass überhaupt Notwehr vorlag, und unterstellen, man sei als ausgebildeter Kämpfer Herr der Lage gewesen. Dass man aus Wut zurückgeschlagen hat, aus Rache, und nicht, um sich zu verteidigen.« Er zuckte mit den Schultern. »Was Juristen halt so denken. Solange sie selber nie in einer derartigen Situation waren und nicht wissen, wie es tatsächlich ist.«
»Und wie ist es tatsächlich?«, fragte Ingo.
Sein Gegenüber beugte sich leicht vor, eine winzige Bewegung, aus der Kraft und Unerbittlichkeit sprachen. »Auf der Straße, Herr Praise, gewinnt der, der zuerst mit maximaler Wucht angreift. Deshalb müssen Sie, wenn Sie sich verteidigen, auch mit maximaler Wucht zurückschlagen. Sie müssen die Initiative erobern und dürfen nicht aufhören, ehe der andere am Boden liegt und sich nicht mehr regt. Sie müssen Schlag auf Schlag folgen lassen, Tritt auf Tritt. Sie dürfen dem anderen keine Chance lassen, sich wieder zu fangen. Denn der andere – das muss Ihnen klar sein – würde Ihnen auch keine Chance lassen.«
Nach einem Tag voller Anrufe, die niemanden erreichten, hinterlassenen Nachrichten, auf die niemand antwortete, und Hinweisen, die zu nichts geführt hatten, gab am Nachmittag gegen vier Uhr auch noch die Neonröhre in Ambicks Büro endgültig den Geist auf. Der Kommissar warf den Kugelschreiber hin und beschloss, es für heute gut sein zu lassen. So schlecht, wie die Woche anfing, konnte es eigentlich nur noch besser werden, aber es war nicht nötig, im Halbdunkel einer Energie sparenden Schreibtischlampe darauf zu warten.
Er rief noch einmal die Hausmeisterei an – natürlich meldete sich dort auch wieder nur ein Anrufbeantworter –, schnappte sich dann seine Jacke vom Haken und ging.
Kam heute nicht eine Sendung von diesem Journalisten, der den Racheengel für einen Superhelden hielt? Ihm war, als hätte er irgendwas aufgeschnappt, ein Werbejingle oder so. Anwalt der Opfer . Achtzehn Uhr. Passte. Und konnte vielleicht nicht schaden, sich das anzuschauen.
Seine Schritte hallten in den langen, verlassen
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