Todesengel
die Bibliothek in unserem neuen Haus«, bemerkte Angela. Die aufregenden Neuigkeiten mußten sie sofort ihren Eltern mitteilen. Davids Eltern waren begeistert. Seit ihrer Pensionierung lebten sie in Amherst in New Hampshire. Von dort bis nach Bartlet war es nur ein Katzensprung. »Dann sehen wir euch ja demnächst etwas häufiger«, sagten sie erfreut.
Die Eltern von Angela reagierten vollkommen anders. »Es ist ein leichtes, der großen Gemeinschaft der Akademiker einfach den Rücken zu kehren«, sagte Dr. Walter Christopher. »Doch es ist schwierig, wieder hineinzukommen. Ihr hättet mich vorher um Rat fragen sollen, bevor ihr diese dumme Entscheidung getroffen habt. Ich gebe dir jetzt deine Mutter.«
Angelas Mutter teilte unverblümt mit, wie enttäuscht sie darüber sei, daß sie nicht nach New York kommen würden. »Dein Vater hat sich sehr viel Mühe gegeben und mit allen möglichen Leuten geredet, damit ihr hier in New York gute Verträge bekommt«, sagte sie. »Ich finde es ausgesprochen rücksichtslos, daß ihr all seine Bemühungen so einfach in den Wind schlagt!«
Angela legte auf und drehte sich zu David um. »Meine Eltern haben ja noch nie gut gefunden, was wir machen«, sagte sie. »Man kann wohl nicht erwarten, daß sie sich jemals ändern werden.«
Kapitel 6
Montag, 24. Mai
Harold Traynor kam so früh im Krankenhaus an, daß ihm vor seiner nachmittäglichen Sitzung im Büro von Helen Beaton noch etwas Zeit blieb. Deshalb beschloß er, in den zweiten Stock hinaufzugehen und den Patienten in Zimmer 209 zu besuchen.
Bevor er die Tür öffnete, atmete er ein paarmal tief durch, um sich innerlich zu stärken. Wenn Traynor auch der Vorsitzende des Krankenhausvorstands war, so hatte dieses Amt doch nicht seine tiefe Abneigung gegen jede Berührung mit Krankheiten abgeschwächt; insbesondere wollte er eigentlich nichts mit Menschen zu tun haben, die ernsthaft krank waren.
Während Traynor durch den abgedunkelten Raum auf das große orthopädische Bett zuging, achtete er darauf, daß er in Gegenwart des Schwerkranken nur flach atmete. Er beugte sich vorsichtig nach vorne, um ja nichts zu berühren, und starrte seinen Klienten Tom Baringer an. Baringer sah sehr schlecht aus, und Traynor wollte ihm nicht zu nahe kommen, denn er hatte Angst, daß er sich mit einer schrecklichen Krankheit anstecken könnte. Der Patient atmete schwer, sein Gesicht war grau. In seiner Nase steckte ein Plastikschlauch, durch den Sauerstoff in die Lunge gepumpt wurde. Die Augen hatte man ihm mit Klebestreifen geschlossen, und zwischen seinen Augenlidern quoll Salbe hervor.
»Tom«, sagte Harold leise. Und als er keine Antwort bekam, wiederholte er den Namen seines Mandanten, diesmal etwas lauter. Doch Tom rührte sich nicht.
»Er reagiert nicht mehr«, meldete sich plötzlich eine Stimme.
Harold zuckte erschreckt zusammen. Er hatte angenommen, daß außer ihm und Tom niemand im Raum war. »Seine Lungenentzündung spricht nicht auf die Behandlung an«, sagte der Fremde wütend. Er hatte sich in eine dunkle Ecke des Raumes zurückgezogen. Harold konnte sein Gesicht nicht erkennen.
»Er wird sterben, genauso wie die anderen«, fuhr der Mann fort.
»Wer sind Sie?« fragte Harold und wischte sich mit der Hand einige Schweißtropfen von der Stirn. Der Mann erhob sich von seinem Stuhl, und Harold sah, daß er Operationskleidung und einen weißen Kittel trug. »Ich bin der Arzt von Mr. Baringer. Mein Name ist Randy Portland.« Er stellte sich auf die gegenüberliegende Seite des Bettes und betrachtete seinen komatösen Patienten. »Die Operation war erfolgreich, aber der Patient stirbt. Ich vermute, daß Sie so geistreiche Bemerkungen wie diese in der letzten Zeit schon häufiger gehört haben.«
»Ja, das stimmt. Sie haben recht«, sagte Traynor nervös. Der Schreck, der ihm in die Glieder gefahren war, als Dr. Portland so überraschend aufgetaucht war, verwandelte sich allmählich in pure Angst. Irgendwie wirkte der Mann äußerst seltsam. Harold hatte keine Ahnung, wie er sich verhalten sollte.
»Ich habe seine Hüfte wieder zusammengeflickt«, sagte Dr. Portland und hob die Bettdecke an, damit Harold die gut vernähte Wunde sehen konnte. »Bei der Operation gab es keinerlei Schwierigkeiten. Doch unglücklicherweise war es für ihn trotzdem eine tödliche Behandlung. Mr. Baringer hat keine Chance mehr, lebendig wieder hier rauszukommen.« Portland ließ die Patientenakte aus seiner Hand gleiten und sah Harold
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