Todeserklärung
nehmen«, bestätigte Knobel.
»Vielleicht ist es möglich, dass wir die Gläser direkt bei Sebastian in die Wohnung stellen. Er hat uns gesagt, dass Sie einen Schlüssel zur Wohnung haben. Er hat absolutes Vertrauen zu Ihnen, und ich hoffe, dass Sie uns kurz hineinlassen. Und bei dieser Gelegenheit«, lächelte Knobel verschwörerisch, »können wir auch eine kleine Überraschung für Sebastians Party vorbereiten.«
Theodoridis Blicke verrieten noch immer Unschlüssigkeit und Unsicherheit.
»Sebastian hat mir von Ihnen nichts erzählt«, sagte er abwartend.
»Natürlich nicht!«, beschwichtigte Knobel.
»Wie sollte er das auch bei dem großen Bekanntenkreis, den er hat? Da erwähnt man nicht jeden. Und dass wir heute die Gläser bringen, wird er schlicht vergessen haben. Er wollte die Gläser ja selbst entgegennehmen. Warum sollte er uns also bei Ihnen ankündigen.«
Das Misstrauen des Griechen schien zu schwinden.
»Sie wissen vielleicht, dass vor ein paar Wochen seine Tante Esther gestorben ist«, setzte Knobel behutsam nach und bemerkte eine Regung bei Theodoridis.
»Sie war seine einzige noch lebende Verwandte hier in Dortmund, da muss er sich um einiges kümmern. Vielleicht hat er uns deshalb schlicht vergessen.«
»Tante Esther, ja«, bestätigte der Grieche.
Knobels Gesicht hellte sich auf.
»Na, sehen Sie!«
Mehr sagte er nicht und schob damit den Ball wieder Theodoridis zu, der sich unversehens in der Defensive befand.
»Ich werde bei der Gelegenheit die Blumen gießen«, schlug der Nachbar vor und griff in seiner Diele an ein Schlüsselbrett.
»Sebastian sagte uns, dass Sie immer seine Blumen pflegen. Er ist Ihnen sehr dankbar dafür«, warf Marie ein.
Herr Theodoridis lächelte und schlürfte mit dem Schlüssel über den Treppenpodest, öffnete Sebastians Wohnungstür, und Marie und Knobel folgten ihm mit den Glaspaletten, vermuteten die Küche an der richtigen Stelle und bewegten sich scheinbar zielsicher in der fremden Wohnung. Sie hoben mit hörbarem Stöhnen die Paletten auf den Küchentisch, während Herr Theodoridis im Spülbecken eine Gießkanne mit Leitungswasser füllte. Marie begann, die Gläser aus den Paletten zu nehmen und reihte sie auf dem Küchentisch auf.
»Vielleicht können Sie mir ein Küchentuch geben«, sagte sie, »die Gläser haben noch Schlieren aus der Spülmaschine.«
Der Nachbar warf ihr ein Tuch zu, und während er sich den Blumen widmete, ordnete Marie umständlich die Gläser auf dem Tisch. Knobel eilte geschäftig in der Wohnung hin und her, scheinbar um Vorbereitung der angekündigten Überraschung bemüht und in dem Dilemma, in der begrenzten Zeit ihres Aufenthaltes unauffällig zugleich so viele Informationen wie eben möglich zu sammeln. Marie bemerkte sein rastloses, zielloses und deshalb auffälliges Hin und Her und erlöste ihn mit dem Vorschlag, dass er sich statt ihrer dem Nachputzen und Arrangieren der Gläser widmen solle. Knobel nahm dankbar an.
Marie sah mit flüchtigem Blick, dass in allen Zimmern Blumen standen. Sie würde sich dem zu erwartenden Rundgang anschließen können.
»Haben Sie vielleicht einen Zollstock?«, fragte sie ihn.
»Einen Zollstock? Nein. Wofür?«
Marie erklärte, dass man für die Feier aufwändige Girlanden herstellen wolle, die mit bestimmten elektronischen Effekten versehen seien und man deshalb die Raumdiagonalen ausmessen müsse. Herr Theodoridis verstand ersichtlich nicht, und Marie erklärte nüchtern: » Final electronic event deco. « Ist heute auf allen Feiern – und nicht nur bei der Jugend – der Hit. Es wird auch Sebastian gefallen.«
Der Grieche schüttelte ungläubig den Kopf und blickte sich suchend um.
Schließlich verließ er für einen Augenblick Sebastians Wohnung und kehrte mit einem Zollstock zurück.
Marie erwartete ihn in der Wohnungstür und zerstreute damit seine Bedenken. Sie hatte seine kurze Abwesenheit nicht zum Spionieren genutzt, und Herr Theodoridis ergab sich wie erwartet auskunftsfreudiger.
»Alle Blumen zu gießen ist ein zeitfüllendes Programm«, lobte sie anerkennend und folgte Theodoridis in das Wohnzimmer, das Sebastian Pakulla zum Atelier umfunktioniert hatte. Der Boden war durchgehend mit billigem Linoleum belegt, darauf standen fünf abgenutzte Staffeleien. Auf dreien standen fertig wirkende Bilder, auf der vierten ein in seinem Motiv gänzlich anderes Bild, die fünfte Staffelei war leer. Hinter einer Plastikfolie befanden sich aneinandergelehnt weitere Bilder, und
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