Todeserklärung
über Sebastians Lebensgewohnheiten wusste, aber jede dieser Fragen hätte offenbart, dass sie und Knobel nicht jenes Wissen vom täglichen Leben Sebastians hatten, welches sie vorgaben. Also verbaten sich diese Fragen. Marie folgte Theodoridis in die Küche, wo Knobel mit ihrem Eintreten sich wieder geschäftig der Gläserpflege hingab. Marie beobachtete, wie Theodoridis die Gießkanne ein zweites Mal füllte, aus einer Schublade ein Tütchen nahm und dessen Inhalt in das Wasser in die Kanne entleerte, bevor er weitere Pflanzen wässerte. Marie maß währenddessen auch in der Küche die Raumdiagonale und wies Knobel an, sich die Maße zu merken, die sie laut wiederholte. Es folgten noch einige belanglose Wortwechsel, dann verabschiedeten sie sich vor der Wohnung von dem Griechen und verließen das Haus.
Als sie wieder im Auto saßen, Knobel seinen Mercedes vorsichtig ausgeparkt hatte und sie Richtung Rheinische Straße fuhren, sagte er stolz:
»Ich hoffe, du hast mein strategisches Vorgehen bemerkt.«
»Welches?«
»Ich konnte schließlich nicht wissen, dass Theodoridis einen Schlüssel von Sebastians Wohnung hat. Es war reine Intuition. Also habe ich so getan, als sei es völlig unzweifelhaft, dass der Grieche unser Mann ist.«
Marie reagierte nicht.
»Ich habe mir nämlich gedacht: Wenn Sebastian Pakulla in Dortmund keine Verwandten mehr hat – und das ergibt sich ja aus der Schilderung meines Mandanten – und es keine Vertrauensperson in der näheren Umgebung gibt – das allerdings war von mir ins Blaue vermutet, dann spricht viel dafür, dass Sebastian im Haus jemanden kennt, der zumindest den Schlüssel zu seiner Wohnung hat. Und als ich Herrn Theodoridis sah, wusste ich, dass er es sein könnte. Sympathischer Typ. Wir haben ins Schwarze getroffen«, stellte er fest, wofür er gelobt werden wollte. Marie erfüllte ihm seinen Wunsch nicht.
»Hast du etwas herausgefunden?«, fragte er.
»Du hast herausgefunden, dass Herr Theodoridis die Schlüssel von Sebastian Pakullas Wohnung hat und dort Blumen gießt«, antwortete sie. »Was noch?«
»Weiß nicht«, blieb er unbestimmt. »Weißt du mehr?«
»Erstens: Herr Theodoridis gießt in dieser Wohnung seit Langem Blumen, und zwar planmäßig und nicht nur gelegentlich.«
»Wieso?«
»Er kennt die Wohnung genauestens. Er gießt nach einem bestimmten Ablauf, weiß, dass sich der Dünger für das Gießwasser in der oberen Schublade rechts im Küchenunterschrank befindet, dosiert das Wasser wie selbstverständlich unterschiedlich für die einzelnen Pflanzenarten.
Zweitens: Er nutzt unser Erscheinen, um die Blumen zu gießen. Das heißt: Er tat etwas, was er ohnehin vorhatte. Also gibt es für Herrn Theodoridis so etwas wie einen Gießplan. Natürlich konnte ich ihn nicht fragen, wie lange er das bereits für Sebastian Pakulla tut. Man kann nicht so tun, als sei man mit Sebastian bestens befreundet und gleichzeitig nicht über seinen Alltag Bescheid wissen.«
Knobel nickte. »Und sonst?«
»Drittens: Die Wohnung war ohne besondere Gerüche. Die Luft war lediglich etwas abgestanden.«
»Das heißt?«
»Sebastian Pakulla ist, wie wir wissen, Maler. Er malt regelmäßig, weil er von diesem Beruf lebt. Sein Wohnzimmer, also sein Atelier, ist voll von Farben und Lösungsmitteln. Wir wissen von seiner Post aus dem Briefkasten, dass er seit wenigstens rund drei Wochen nicht mehr die Post geholt hat. Unterstellt, er war bis vor etwa drei Wochen in seiner Wohnung, müsste es gleichwohl in der Wohnung noch etwas nach Farben und Lösungsmitteln riechen. Diese Gerüche sind hartnäckig. Sie halten sich über Wochen, umso mehr, wenn zwischendurch nicht gelüftet wird. Theodoridis gießt die Blumen, aber er lüftet nicht. Das hätte er sonst heute sicher getan. Denn er gießt, wie ich sagte, turnusmäßig. Dabei kurz die Fenster zu öffnen, wäre fast selbstverständlich. Ganz im Gegenteil: Theodoridis dachte nicht einmal daran, die Fenster zu öffnen. Das bedeutet: Der Gestank von Farben und Lösungsmitteln war für ihn überhaupt kein Thema. Möglicherweise kennt Theodoridis das Geruchsproblem überhaupt nicht. Und daraus lässt sich folgern, dass er bereits seit viel längerer Zeit die Blumen gießt als Sebastian Pakulla der Post nach abwesend ist. Daraus folgt: Sebastian ist möglicherweise weitaus länger verschwunden, als uns die nicht aus dem Kasten geholte Post glauben lässt. Aus alledem folgt ein weiteres: Theodoridis gießt eben nur die Blumen, nichts
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