Todeserklärung
etwas abschneiden könne. Knobel konnte ihre Gedankengänge nachvollziehen und war gleichermaßen angewidert, wie mühelos Lisa in dem Redefeuerwerk zur Feindin geriet. Lisa, mit der Charlotte Meyer-Söhnkes noch auf der letzten Weihnachtsfeier der Kanzlei munter geplaudert hatte, sich mit ihrem nie enden wollenden Redeschwall angedient und Lisa zum Opfer ihrer lärmenden Monologe auserkoren hatte. Knobel bereute, sich Charlotte Meyer-Söhnkes anvertraut zu haben. Er wollte sich anständig trennen, würde mit Lisa über die Tochter ohnehin verbunden bleiben, warf die Worte Achtung und Respekt in den Redeschwall, wo sie unbeachtet untergingen. Knobel bestellte den nächsten Pinot Grigio und merkte, dass ihn der Alkohol zunehmend daran hinderte, den hektischen Ausführungen seiner Kollegin zu folgen, die ihm inhaltlich ohnehin zuwider waren. Immer wieder kreisten die Strategien um das gemeinsame Haus in der Dahmsfeldstraße. Würde er verständlich machen können, dass es ihm nie um ein prunkvolles Haus gegangen war? Dass Lisa das Haus behalten sollte, wenn sie es wollte?
Das Sommersprossengesicht vor ihm produzierte neue Ideen, wob irgendwelche Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ein, tiefgründige Erkenntnisse aus jüngst besuchten Seminaren. Knobel nippte an seinem Wein und blickte dumpf in das plappernde Mundwerk seiner Kollegin.
»Ich werde mir erstmal eine Wohnung nehmen«, entschied er.
»Wohnwertvorteil«, hämmerte es aus dem Sommersprossengesicht. »Ihre Frau hat einen Wohnwertvorteil in der Dahmsfeldstraße. Denken Sie daran! Es muss alles strategisch bedacht werden!«
»Ja, ja«, grunzte er und rief nach dem Kellner.
»Aber Herr Knobel!«, hielt das Sommersprossengesicht dagegen. »Sie sind doch jetzt mein Mandant! Da gehts immer um Strategie! In meinen Fällen kenne ich keine Freunde!«
»Strategie, ja, keine Freunde, ja«, antwortete er und lallte schon etwas. Das war es also, was Frau Meyer-Söhnkes als Anwältin empfahl! Diese hässliche, hoch aufgeschossene Frau mit ihrem blassen Sommersprossengesicht, die dünnen, am Hinterkopf zu einem dürren Pferdeschwanz zusammengebundenen Haare, die immer etwas fettig glänzten, die plappernde Gestalt, die keine Wärme ausstrahlte, keine Güte, keine Freude, nicht einmal dazu einlud, zuzuhören. Diese Frau also plante Strategien und kannte dabei keine Freunde.
Knobel bezahlte und genoss die Gelegenheit, vernehmlich aufzustoßen.
»Aber Herr Knobel!«, entfuhr es Frau Meyer - Söhnkeserneut.
»Ja, ja«, sagte er wieder und dankte für ihren weisen Rat.
»Bleibt selbstverständlich alles unter uns!«, schloss sie und zwinkerte vertraulich mit den Augen, bevor sie in ihren Mantel huschte und mit hektischen Schritten entschwand.
Knobel bestellte ein letztes Glas Wein, trank es in einem Zug aus und wankte dann aus dem Louisiana . Auf der Kleppingstraße waren noch einige Passanten. Er lief Richtung Reinoldikirche, schlug dabei wie ein Pendel nach rechts und links aus, umkreiste den Pylon an der U-Bahn-Haltestelle und orientierte sich westwärts zum Taxistand, fand zu dem ersten in der Reihe stehenden Taxi und glitt seufzend auf den Beifahrersitz.
»Im Taxi nicht kotzen!«, raunte der Taxifahrer.
»Nach Hause!«, befahl Knobel, »schnell, subito, pronto, suddenly!«, während er sich bemühte, den Anschnallgurt anzulegen und erleichtert merkte, dass ihm der Taxifahrer diese Arbeit abnahm.
»Heißt auf türkisch ҫ abuk, çabuk «, erwiderte der Fahrer. »Wo ist Zuhause?«
»Haben Sie ein Zuhause?«, lallte Knobel.
»Suchen ein Zuhause?«, echote der Fahrer und startete den Wagen.
»Eine Wohnung für vorübergehend«, antwortete Knobel und bemühte sich, verständlich zu bleiben. Betrunkenheit sucht ihre eigene Ordnung.
»Hätte gute Wohnung für eine Person«, kam es nach einer Weile zurück.
Knobel blickte den Fahrer an. Kurze schwarze Haare, schwarzer Schnäuzer. Verschwommen sah er einen Gebetskranz, der über den Innenspiegel gehängt war.
»Ernsthaft?«, fragte er.
»Wohnung von Bruder. Ist zurück in Türkei. Bleibt da. Gute Wohnung, niedrig Preis.«
»Wo?«
»Huckarde. Gutes Haus, gute Wohnung.«
»Genau richtig!«, schnaufte Knobel und bereute schon jetzt seine launige Antwort, korrigierte aber nicht. Er bemerkte, dass der Fahrer den Taxometer ausgeschaltet hatte. Sie befuhren die Kampstraße, überquerten die Kreuzung Westentor, folgten der Rheinischen Straße, bogen nach der Dorstfelder Brücke rechts in die Ofenstraße ab und
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