Todeserklärung
würde, wie es manchmal ist, wenn man etwas erlebt und intuitiv weiß, dass sich dieser Augenblick einbrennen und einen Platz in den Lebenserinnerungen haben wird. Knobel fühlte wie in jenem Moment, als er mit Marie das erste Mal geschlafen hatte und die Stimmung eine ganz ähnliche war, als sie in ihrer schlichten Wohnung in der Brunnenstraße waren und die übermächtig erscheinenden Ereignisse des zurückliegenden Tages in ihrer kleinen Wohnung keinen Platz mehr finden konnten, der Tag sich dadurch reinigte, das Erlebte herausdrängte und für sie beide Raum schuf, in dem sie sich und Zeit fanden, in der sie sich verlieren konnten. So war es jetzt wieder, und Knobel gab sich diesem Gefühl hin, ließ sich von dem gleichförmig niederprasselnden Regen hypnotisieren und von Maries weichem Körper stimulieren, bis er sich zu ihr umdrehte, im bleichen Licht dieses Regentages ihre ganze Schönheit sah und mit der Sehnsucht umschlang, sie nieder wieder verlieren zu müssen.
Am anderen Morgen entdeckte Knobel auf seinem Handy eine SMS-Nachricht von Frau Klabunde.
Habe Unglaubliches aufgedeckt! Sie werden sprachlos sein! Alles weitere in Dortmund! Alles wird gut! , las er, und als er die Nachricht löschen wollte, erschien sie ein zweites Mal im Display. Frau Klabunde hatte ihre Nachricht zweimal abgeschickt, vermutlich, um sicherzugehen, dass sie auch ankommt. Er stellte sich Frau Klabundes Erregung vor, als sie diese Nachricht schrieb, ihr errötetes Gesicht, die flinken Augen, die durch die Lesebrille auf das Handy spähten, ihr fülliger Busen, der sich unter ihrem schweren Atmen hob und senkte. Knobel schmiegte sich an Marie, streichelte sie und schlief behütet noch zwei Stunden weiter.
24
Karfreitagmorgen in Palma. Es hatte aufgehört zu regnen, aber der Himmel war noch immer wolkenverhangen. Sie nahmen ein kleines Frühstück mit Milchkaffee im Wohnzimmer der alten Frau, die währenddessen per E-Mail weitere Buchungen zu bestätigen schien und zwischendurch pausenlos redete, wobei sie sich gelegentlich zu Stephan und Marie umsah, als würde sie eine Antwort erwarten. Marie blätterte in den letzten Seiten ihres ADAC-Reiseführers, in dem ein Sprachführer enthalten war. Einige wenige Kernsätze waren dort nach Themenbereichen sortiert und in Spanisch und Katalanisch übersetzt. Marie sah in die Rubrik Im Hotel , doch die dort gefunden Sätze waren für eine Kommunikation mit der alten Frau ungeeignet.
Der bestellte Mietwagen sollte von der Agentur ab 11 Uhr an der Avinguda Catalunya bereitgestellt werden, und ein Blick in den Stadtplan des Reiseführers verriet, dass man dorthin nur zur Placa del Rei Joan Carlos I. zurückgehen und der Avinguda Joaume III rund 300 Meter folgen musste. Doch Marie schlug vor, mit Kamera und kleinem Rucksack versehen, einen verschachtelten Weg durch die Altstadt zu nehmen, um Stephan einen ersten Eindruck von Palma zu geben, und Knobel merkte, dass es ihr insbesondere darum ging, die Gassen rund um die Kathedrale abzugehen, wobei sie sich immer wieder umschaute und ihn aufforderte, zu prüfen, ob die sich bietenden Ausblicke auf die Catedral La Seu dem von Sebastian Pakulla gemalten Stadtmotiv ähnelten, das er bei dem Galeristen gesehen hatte.
»Und selbst wenn wir das Motiv finden würden«, gab Knobel zu bedenken, »wüssten wir nur, dass Sebastian hier einmal war, aber nicht, wo er heute ist.«
Und so streiften sie durch die Altstadt, fanden schließlich die Placa Major , tranken in einem Straßencafe im Schutze der italienisch anmutenden Arkaden einen Kaffee und schlenderten dann auf direktem Weg zur Autovermietagentur, wo sie einen kleinen zweitürigen Wagen in Empfang nahmen. Der Mitarbeiter der Verleihfirma übergab ihnen Fahrzeugschlüssel und -papiere und eine farbige Straßenkarte von Mallorca, deutete achselzuckend auf den grauen Himmel und meinte in gebrochenem Deutsch, dass bald die Sonne durchbrechen werde.
Während Marie den Wagen aus der Stadt lenkte, schickte Knobel eine SMS an Frau Klabunde und bat darum, dass sie ihr Geheimnis lüfte. Die Antwort kam umgehend, aber sie klärte nicht auf:
Sie haben allen Grund zur Freude, glauben Sie mir! Aber Sie müssen sich noch bis Dienstag gedulden! Liebe Grüße und frohe Ostern, Ihre Frau Klabunde.
Knobel schüttelte den Kopf, wählte Frau Klabundes Handynummer und stellte fest, dass sie ihr Handy offensichtlich nach Versenden ihrer SMS an Knobel abgeschaltet hatte, um gerade jenes Telefonat zu verhindern,
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