Todeserklärung
genau erkennen, wie viele Straßen oder Häuserblocks wir vom Bahnhof aus passieren müssen. Mit aller Sicherheit hat Sebastian auch nicht maßstäblich gemalt. Wir müssen es einfach versuchen!«, meinte Marie.
Sie parkten das Auto in einer Nebenstraße, und dann begann ihre Suche nach dem roten Herz, also einer Person, von der sie nichts wussten außer der allerdings nahe liegenden Vermutung, dass es sich um Sebastian Pakullas Freundin handeln musste, deren Haus oder Wohnung sie irgendwo hier in der Nähe des Bahnhofs wähnten.
»Wir können davon ausgehen, dass Sebastian relativ genau gemalt hat«, meinte Knobel. »Ich vermute sogar, dass er den Stadtplan, den es wahrscheinlich hier auch irgendwo als Ausdruck gibt, abgemalt hat.«
»Das Rathaus ist heute geschlossen, das Tourismusbüro bestimmt auch. Es ist Feiertag.«
»Ich meine, wir sollten uns einfach an den Stadtplan an der Bushaltestelle halten«, schlug Knobel vor.
»Und den Plan einfach mit unserem Foto abgleichen. Vermutlich lässt sich der Standort des Hauses dann genauer eingrenzen.«
Sie gingen wieder zur Haltestelle zurück. Der Stadtplan im Schaukasten war gegenüber Sebastians Bild seitenverkehrt. Die Eisenbahn stach auf dem Plan von rechts oben in das Bild. Sie drehten die Kamera, bemühten sich abwechselnd auf dem kleinen Bildschirm mehr Details von Sebastians Motiv zu entdecken und entschieden schließlich, nachdem sie immer wieder das Foto mit dem Stadtplan im Wartehäuschen verglichen hatten, sich auf die Häuserblocks zu konzentrieren, die in einer Entfernung bis zu 300 Meter vom Bahnhof aus gesehen Richtung Stadtkern lagen.
Ihre Euphorie, den vermuteten Wohnsitz des roten Herzens einigermaßen lokalisieren zu können, wich bald der Erkenntnis, dass sie durch Kombinieren oder durch Auswertung des Bildes von Sebastian Pakulla keine weiteren Informationen erschließen konnten. Sie konnten Passanten nach keinem Personen-und keinem Straßennamen fragen, von der fremden Sprache ganz zu schweigen. Wie sollten sie jemandem begreiflich machen können, wen sie suchten? Sa Pobla war, das wussten sie aus dem Reiseführer, kein von den Touristen bevorzugtes Ziel. Man würde kaum auf Bewohner stoßen, die der deutschen Sprache mächtig waren. Sie hatten auch kein Foto von Sebastian Pakulla dabei. Die Fotos von seinen Ölbildern würden voraussichtlich niemandem etwas sagen. Das Foto von Sebastian, das in der heimischen Presse abgebildet war, hatten sie in der Pension zurückgelassen.
Unschlüssig begannen sie ihre Suche, durchstreiften die Straßenzüge, die die Häuserblocks umschlossen, in denen das gesuchte Herz wohnen könnte. Was sie von Sa Pobla sahen, waren schmucklose Wohnviertel, einfache eng aneinander gereihte Häuser an langen geraden Straßen. Vereinzelte Ladenlokale für den täglichen Bedarf, ein paar Einfahrten in schlichte Hinterhöfe. Eine Autoreparaturwerkstatt, eine Bauschlosserei, verschiedene Lebensmittelläden. Sie sahen an jedem Haus auf die Namensschilder an den Haustüren. Ein fragwürdig erscheinendes Unterfangen. Alles sprach dafür, dass es sich bei dem Herz um eine Einwohnerin des Ortes handeln würde, denn sie mochten sich nicht vorstellen, dass man freiwillig in diese eher trist wirkende Gegend zog. Und hinter welchem spanischen Nachnamen sollten sie die Frau vermuten können, die vielleicht die Freundin Sebastian Pakullas gewesen ist oder immer noch war? Ganz abgesehen davon, dass es wahrscheinlich auch in den zahlreichen Hinterhöfen Wohnungen gab, zu deren Türen sie durch die geschlossenen Hofeinfahrten nicht vordringen konnten. Der zwischenzeitliche Blick auf das Foto von Sebastians Bild in der Digitalkamera verwirrte mittlerweile mehr als dass er behilflich war. Das leuchtend rote Herz wohnte hier irgendwo. Mehr Informationen waren dem Bild nicht zu entlocken.
Marie blieb vor dem Ladenlokal eines Immobilienmaklers stehen. In der Auslage Fotos von Häusern aus der Gegend von Inca und Alçudia bis hinein ins Tramuntanagebirge. Welcher Einwohner aus Sa Pobla sollte in unmittelbarer Nähe ein Haus kaufen? Das Angebot richtete sich offensichtlich an Fremde. Marie suchte nach den in Maklergeschäften üblichen Hinweisen auf Telefonnummern und fand rechts im Schaufenster eine Informationstafel mit zwei Namen und Handynummer, davon einer in Deutsch: Kirsten Praetorius.
»Die rufe ich jetzt an«, entschied sie, und noch bevor Knobel etwas sagen konnte, wählte sie die angegebene Nummer.
»Schwarz«, meldete sie
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