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Todesfalter

Todesfalter

Titel: Todesfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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nicht ihr selbst. Dann trat sie ins Zimmer des Rats.
    Sie hatte erwartet, Nützel gegenüberzutreten, Bärbels Vater, diesem kleinen, von der eigenen Bedeutung erfüllten Mann. Stattdessen sah sie sich einem Fremden gegenüber, groß, mit fülligem Gesicht, attraktiv und eine Spur verkommen. Mit braunen Augen und einem Lächeln, um dessen Wirkung er wusste, schaute er sie an. »Guten Abend, Gräffin«, sagte er. »Ich freue mich, Euch endlich persönlich kennenzulernen. Mein Name ist Hoffmann.«
    Im selben Moment hörte Maria ein Hüsteln. Es kam von Nützel. Auch er war da, hockte auf einem hochlehnigen Stuhl in einer Ecke, hielt sich die Hand vor den Mund und sah unglücklich drein.

23
    Johanna Helena saß eng an die Knie der alten Magd geschmiegt auf dem Küchenfußboden und starrte in die Flammen. Sie liebte das Spiel des Feuers, das aufflammende Orange, das sich blähte und atmete, im Herzen einen Funken Blau, der zu pulsieren schien, hierhin und dahin wandernd, wachsend und schrumpfend, glühende Ränder um die schwarzen Kohlen mahlend, die aufblühten wie Ketten kleiner Perlen und zu dem sanftesten Weiß der Welt zerfielen, zu frischer Asche. Als sie kleiner war, hatte Johanna diese flaumigen Ränder einmal anfassen wollen und streicheln wie die Kätzchen, die sich in der späten Nacht einkuschelten am leicht abgekühlten Rand der Asche, aus der sie morgens schmutzig bestäubt aufstanden. Aber die Ränder hatten gebissen. Sie trug ein Mal noch am linken Zeigefinger. Mama küsste ihn abends manchmal und sagte, das sei nicht schlimm, sie könne Pinsel und Griffel noch immer gut damit halten. Manchmal fühlte Johanna sich dann gut und ließ sich bestätigen, dass sie auf jeden Fall einen Bräutigam abbekommen werde. Manchmal fühlte sie sich klein und dachte bei sich, dass sie nie so gut malen würde wie ihre Eltern. Das lag ihr einfach nicht, sie hatte keinen Spaß dabei. Und dann fragte sie sich ein wenig bang, ob die Eltern sie wohl trotzdem immer lieben würden. Mamas Lippen auf ihrem Finger schienen das aber jedes Mal aufs Neue zu versprechen.
    Jetzt war Johanna groß, aber noch immer zog das Feuer sie an. Ihre Mutter hatte ihr erklärt, das sei bei allen Menschen so, von den Wilden bis zu den größten Künstlern. Aber ihre Mutter war nicht da. Dabei war bereits Schlafenszeit, Johanna trug schon das große weiße Nachthemd aus festem Stoff, in das sie jeden Abend schlüpfte und wegen dem ihr Vater sie manchmal »Täubchen« nannte. Ihr Vater war auch nicht da, aber das war normal.
    »Anna, wo ist Mama?«
    »Ich weiß es nicht, mein Kind.«
    Johanna kuschelte sich fester an das Knie der Amme. Sie war es gewohnt, dass Anna nicht viel wusste. Anna glaubte doch tatsächlich an Kobolde und Gespenster und dachte, Schmetterlinge wären Hexen in Tiergestalt, die gekommen waren, um die Butter zu verderben. Anna dachte auch, Nürnberg sei der Mittelpunkt der Welt und hinter den Meeren gebe es nur Wildnis und Pestilenz. Mama hatte ihr erzählt, dass das anders war. Sie hatte die großen Bücher für sie aufgeschlagen und ihr seltsame Tiere gezeigt und wunderbare Blumen. Eine Schlange war da gewesen und eine Spinne mit Haaren drauf. Wenn sie von der erzählte, konnte sie Anna zum Kreischen bringen. Johanna hätte das Buch jetzt gerne geholt. Aber sie durfte nicht allein in Mamas Zimmer. Und Mama war nicht da.
    Als sie es meldete, hatte Anna geklungen, als würde die Welt untergehen. Das gab der Abwesenheit von Mama eine völlig neue Bedeutung. Noch konnte Johanna deren Umfang nicht ganz ermessen. Aber sie schien ihr groß, sehr groß und schwarz zu sein und aus den Ecken des Raumes auf sie zuzukriechen, und undeutlich ahnte sie, dass sie sich in einen Abgrund verwandeln könnte, in den zu stürzen ihre Welt zum Zusammenbruch bringen würde. Rasch schaute sie in die Flammen und blinzelte. Alles war wie immer.
    »Das ist sie«, rief sie, als sie das Klopfen am Tor hörte und sprang auf.
    Aber Anna zog sie zurück. »Sie hat doch die Schlüssel«, wandte sie ein. Was sie nicht sagte, war, dass der Ton seltsam geklungen hatte. Das war kein Pochen von Menschenhand gewesen, weder höflich noch entschlossen. Anna wusste, wie die Lieferanten klangen, die Nachbarn, die Schülerinnen und auch die Gläubiger. Sie kannte vielerlei Klopfen, aber das hier war ihr neu. Hart war es gewesen, unstet dabei, metallisch im Nachhall. »’s ist kein Mensch«, flüsterte sie und schlug das Kreuzzeichen. Zur Sicherheit drei Mal.
    Johanna

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