Todesfee
seiner Berufung. Trotz seiner Worte wirkte er alles andere als erschöpft.
Fidelma und Laisran hielten eine Weile inne, um ein paar Jungen beim Angeln im Fluss zuzusehen. Der Abt begutachtete mit kritischem Auge, wie sie die Angelschnur auswarfen.
»Hat es sich gelohnt, herzukommen?«, fragte Laisran plötzlich.
Fidelma dachte über die Frage nach, bevor sie antwortete. Es lag ihr nicht, um der Höflichkeit willen oberflächliche Antworten zu geben.
»Den großen Jahrmarkt von Carman sollte man sich nicht entgehen lassen«, antwortete sie nach sorgfältiger Überlegung.
Der Aenach oder Jahrmarkt von Carman fand alle drei Jahre |323| an den Tagen des Festes Lugnasadh statt, den ersten Tagen des Monats, den die Römer Augustus nannten. Er war einer der beiden großen Jahrmärkte, die im Königreich Laighin abgehalten wurden. Der König von Laighin, Fáelán von den Uí Dúnláinge, nahm persönlich daran teil, mit nicht weniger als siebenundvierzig seiner bedeutendsten Edelmänner. Während des Jahrmarktes veranstaltete man Spiele und Wettkämpfe im Sport und in den Künsten. Dichter deklamierten ihre Verse und Männer maßen sich in allen möglichen Fertigkeiten und in ihrer Kraft. Auch Frauen traten in speziellen Wettkämpfen gegeneinander an. Zusätzlich zu der Unterhaltung gab es Märkte für alle erdenklichen Arten von Nutztieren, Waren und Gütern.
Laisran hatte Fidelma gerade erzählt, dass er einen Händler vom Festgelände hatte jagen müssen, da der Mann Tränke feilgeboten hatte, mit denen man Füchse und Wölfe beseitigen konnte. Da die hochgiftigen Mixturen jedoch auch andere Tiere und sogar Menschen töten konnten, war es verboten, sie auf dem Jahrmarkt zu verkaufen. Dennoch stimmte es, dass man viele wunderbare und seltsame Dinge an den Ständen auf dem Aenach von Carman erwerben konnte.
Doch der Aenach von Carman hatte auch eine ernste Seite, im Gegensatz zum Aenach von Lifé, dem anderen bedeutenden Jahrmarkt des Königreiches Laighin, der ganz den Pferderennen gewidmet war.
Während der Tage des Aenach von Carman trat die Große Versammlung des Königreiches zusammen. Alle Adeligen, die Stammesfürsten, die Brehons und Anwälte, die Männer und Frauen von Bildung und Gelehrsamkeit trafen sich, umüber die Gesetze des Landes zu debattieren. Am ersten Tag hielten die Männer und die Frauen jeweils getrennte Versammlungen ab, zu denen das andere Geschlecht nicht zugelassen war. Der Rat der Frauen ließ keine Männer zu, und der Rat der Männer ließ |324| keine Frauen zu. Jeder Rat entschiedüber Angelegenheiten, die das jeweilige Geschlecht betrafen, und wählte Vertreter, die im Folgenden an den Zusammenkünften der Großen Versammlung von Laighin teilnahmen. Der Großen Versammlung wohnten beide Geschlechter bei. Dort wurden Angelegenheiten diskutiert und entschieden, die das gesamte Volk angingen. Der König, seine Brehons oder Richter und die Vertreter des Volkes erörterten notwendige Gesetzesänderungen und legten die Ausgaben des Königreiches für die nächsten drei Jahre fest.
Obwohl Fidelma aus dem benachbarten Königreich Muman stammte und daher kein Recht hatte, auf einer dieser Zusammenkünfte ihre Meinung zu äußern, war sie vom Rat der Frauen eingeladen worden, als Gast dort zu sprechen. Sie war gebeten worden, die Frauen über bestimmte Gesetze ihres eigenen Königreiches zu informieren und sie darin zu beraten, wie man sie in Laighin anwenden könnte. Denn wenn auch das große Rechtssystem in allen fünf Königreichen galt, so gab es doch einen Bereich der Gesetze, genannt das Gesetz des Urrdas, in dem geringfügige Abweichungen davon in den einzelnen Königreichen festgeschrieben waren. Nun jedoch lag all das hinter ihnen und ein weiterer Tag des Frohsinns und der Festlichkeit sollte den Jahrmarkt beenden.
Fidelma war hocherfreut, wenn auch nicht überrascht gewesen, ihren Vetter und Freund Laisran, den Abt der berühmten Klosterschule von Durrow, auf dem Jahrmarkt anzutreffen. Er war unter anderem als Berater der Großen Versammlung hier. Laisran hatte Fidelma einst überzeugt, der Abtei der heiligen Brigid in Kildare beizutreten. Die Abtei lag nicht weit entfernt von der Ebene des Flusses Bearbha, auf der der Aenach von Carman abgehalten wurde. Fidelma hatte die Abtei der heiligen Brigid jedoch schon vor langer Zeit verlassen, um nach Cashel zurückzukehren.
|325| »Wie schätzt du die Kompetenz unserer Gesetzesmacher ein?«, fragte Laisran nun. »Verabschieden wir gute
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