Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesfee

Todesfee

Titel: Todesfee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Tremayne
Vom Netzwerk:
Text gearbeitet?«
    »Das hat er. Ich weiß es, denn ich bin der Schreiber, und zudem der
delbatóir
, der Klausurmacher, der Gemeinschaft. Ich habe für Gelasius oft die Federn angespitzt. Ich habe seine Tinten gemischt. Als
delbatóir
ist es meine Aufgabe, die Buchkästen und Buchbeschläge anzufertigen, durch die man die Bücher schützen und sicher aufbewahren kann.«
    Fidelma nickte. Viele Bücher, die als wichtig galten, wurden entweder von Kästen aus Metall oder Holz oder durch feine |374| Beschläge aus Gold oder Silber geschützt. Zuweilen waren die Beschläge mit Juwelen verziert, die man auf ihre Ledereinbände nähte. Das Herstellen solcher Buchkästen oder Buchschreine und Beschläge war eine besondere Kunst, die
cumtach
genannt wurde, und diese Aufgabe fiel dem
delbatóir
, dem Gürtler oder Klausurmacher, zu.
    »Wir haben ja oft zusammengearbeitet, und Gelasius hat häufig zu mir gesagt, dass die Wahrheit, die Nahrung des Theologen, oft bitter schmecke. Die meisten Menschen zögen die schmackhaftere Lüge vor.«
    »Wem hat er mit seiner Wahrheit Ärger bereitet?«
    »Um offen zu sein, Schwester, den meisten Ärger machte er sich selbst. Einmal kam ich in seine Kammer, wo er über Texten in der alten Schrift brütete …«
    »In Ogham?«
    »Ja, in Ogham. Ich vermag das alte Alphabet leider nicht zu entziffern. Er schob den Text plötzlich wütend beiseite und rief: ›Ach! Man erkennt den Wert des Brunnens erst, wenn er versiegt!‹ Da bemerkte er mich und entschuldigte sich für seinen Ausbruch. Aber Wut war kein dominierender Zug dieses weisen alten Mannes, Schwester. Es war eher Trauer.«
    »Trauer über das, was er las?«
    »Trauer darüber, was er durch sein großes Wissen erkannte.«
    »Ich entnehme daraus, dass du nicht an Pater Maílíns Geschichte von den herumziehenden Söldnern glaubst?«, fragte Fidelma plötzlich.
    Bruder Ledbán warf ihr einen raschen Seitenblick zu.
    »Ich kann hier niemandem die Schuld geben. Der Vogel, der seine Brut verlässt, wird wenig Liebe ernten.«
    »Es gibt auch ein altes Sprichwort, das besagt, dass aus jeder Brut ein Vogel davonfliegt. Aber ich bitte dich nicht darum, deine Brut zu verlassen, sondern darum, mir bei der Suche nach |375| der Person, die für den Tod des Ehrwürdigen Gelasius verantwortlich ist, zu helfen.«
    »Ich kann diese Person nicht verraten.«
    »Dann weiß du also, wer es ist?«
    »Ich habe einen Verdacht, doch dieser Verdacht würde Gelasius’ guten Namen in Zweifel ziehen.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Die Lösung eines jeden Rätsels liegt im Rätsel selbst«, gab Bruder Ledbán zurück und erhob sich. »Gelasius las gern die
Naturalis Historia
…«
    »Plinius?«, fragte Fidelma nach.
    »Ja – Gaius Plinius Secundus. Gelasius hat einmal zu mir gesagt, dass er und Plinius ein und dasselbe für das beste Geschenk Gottes an die Menschheit hielten.«
    Damit ging er, noch bevor Fidelma ihn darauf hinzuweisen vermochte, dass sie ihm nach dem Gesetz unter Androhung von Strafe befehlen könnte, ihr zu sagen, was er wusste. Doch aus irgendeinem Grund glaubte sie nicht, dass das angemessen war oder dass sie auf diese Weise von seinem Verdacht erfahren könnte.
    Eine Weile saß sie noch auf dem Baumstamm und ging in Gedanken die Fakten durch. Dann zog sie das Stück Pergament hervor, um es noch einmal zu lesen und über das Gelesene nachzudenken. Sie verstaute das Pergament wieder in ihrem
marsupium
und stand plötzlich auf, die Lippen zu einer grimmigen Linie zusammengepresst.
    Sie kehrte auf dem gleichen Weg zurück zur Klostersiedlung und ging direkt zur Zelle des Vorstehers.
    Pater Maílín saß an seinem Schreibpult und blickte verärgert auf, als sie den Raum betrat.
    »Hast du deine Untersuchung abgeschlossen, Schwester?«
    »Noch nicht ganz«, erwiderte Fidelma und setzte sich, ohne |376| seine Aufforderung dazu abzuwarten. Pater Maílín zog die Brauen zusammen, doch bevor er Fidelma zurechtweisen konnte, sagte sie: »Ich möchte dich daran erinnern, dass ich nicht nur die Schwester des Königs von Cashel bin, sondern dass ich als Anwältin bei Gericht im Range eines
anruth
auch über das Privileg verfüge, selbst in Anwesenheit des Hochkönigs zu sitzen. Halte mir also keinen Vortrag über Umgangsformen.«
    Pater Maílín schluckte angesichts ihres harschen Tonfalls.
    Er hatte sie tatsächlich gerade darauf hinweisen wollen, dass eine einfache Nonne sich in Gegenwart eines Klostervorstehers nicht ohne Aufforderung setzen

Weitere Kostenlose Bücher