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Todesfee

Todesfee

Titel: Todesfee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Tremayne
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zurückkehren würde.
    |105| »Der Gesetzestext
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beginnt mit dem Satz, dass unser Rechtssystem auf Wahrheit, Recht und Natur aufbaut. Richter müssen eine Sicherheit von fünf Unzen Silber hinterlegen, um damit zu unterstreichen, dass das Urteil, das sie fällen, nach ihrem besten Wissen der Wahrheit entspricht. Sie verlieren diese Summe, wenn eine Berufung gegen ihr Urteil erfolgreich ist. Falls festgestellt wird, dass sie sich in ihrer Beurteilung geirrt haben, obwohl die ihnen vorgelegten Tatsachen klar sind, beträgt die Strafe dafür einen
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6 .«
    »Willst du damit sagen, dass im Recht keine ehrlichen Fehler erlaubt sind?«, knurrte Morann.
    »Doch, sie sind erlaubt, denn gibt es nicht eine Redewendung, die sagt: ›Jedem Richter seinen Irrtum‹? Aber ein Richter muss für seinen Fehler bezahlen, wenn er ihm nachgewiesen wird. Sollte dieser Fehler auf Voreingenommenheit beruhen, dann heißt es, dass sich ein Makel auf seinem Gesicht zeigt. Ein schwerwiegender Irrtum bei einem Urteil führt dazu, dass der Richter seines Amtes enthoben wird und seine Ehre verliert.«
    Brehon Morann nickte bedächtig. Er übersah geflissentlich den triumphierenden Ausdruck, der sich auf Fidelmas Miene abzeichnete, als sie schließlich die Antwort auf seine erste Frage zum »Makel« gegeben hatte.
    »Und dieser Makel – wie würdest du ihn beschreiben?« Er lächelte leise.
    Fidelma zögerte einen Augenblick und beschloss dann, ihre eigene Ansicht zu präsentieren.
    »Die Altvorderen hatten sicher nicht die Absicht, dass man das wörtlich nehmen sollte: Ein Makel zeigt sich auf dem Gesicht des Richters.«
    Brehon Morann zog streng die Augenbrauen zusammen.
    |106| »Ah, du wagst dich also an die Auslegung der uralten Texte?«
    Als sie seinen spöttischen Ton wahrnahm, hob Fidelma trotzig das Kinn.
    »Ich behaupte nichts dergleichen, wenn es auch sicherlich die Aufgabe eines Brehons ist, die Texte zu erhellen. Ich glaube, hier ist mit Makel gemeint, dass der Verlust der Ehre eines Richters und die Tatsache, dass er öffentlich als jemand bekannt wird, der ein falsches Urteil gesprochen hat, in den Augen der Leute seinem Charakter einen Makel verleiht. Der Makel existiert in den Gedanken der anderen, nicht körperlich auf seiner Haut.«
    »Ach, wahrhaftig?« Brehon Moranns Stimme klang trocken und neutral. Er nahm eine kleine silberne Glocke zur Hand. Kaum war ihr helles Klingeln verstummt, da öffnete sich die Tür und ein kleiner, drahtiger Mann mit weißen Locken trat ein. Er schloss die Tür hinter sich und ging auf einen Stuhl zu, der neben Moranns Schreibtisch und Fidelma gegenüber stand. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos.
    »Das ist der
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Firbis von Ardagh. Er wird dir einen Fall vorstellen, und dann sagst du mir, ob und warum sich auf dem Gesicht des Richters, der in diesem Fall das Urteil gesprochen hat, ein Makel hätte zeigen sollen.«
    Fidelma rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Ein
druimcli
war jemand, der die gesamte juristische Ausbildung durchlaufen hatte und nicht nur Brehon war, sondern auch auf die wichtigsten Rechtspositionen berufen werden konnte. Sie wandte sich ein wenig zu dem Mann hin.
    Firbis sprach mit hoher und nörglerischer Stimme, und er hatte die unangenehme Eigenschaft, zwischendurch immer wieder zu schniefen, als errege etwas sein Missfallen.
    »Pass gut auf und mach dir keine Notizen. Ich halte nichts davon, wenn sich jemand zur Gedächtnisstütze etwas aufschreibt. |107| In den alten Zeiten, vor der Ankunft des Neuen Glaubens war es nicht erlaubt, unseren Schatz an Wissen aufzuzeichnen. Die alte Religion hat uns verboten, unsere Lehren in Schriftform festzuhalten. Das ist eine gute Regel für Schüler. Sie verlassen sich sonst zu sehr auf das geschriebene Wort, wo sie besser ihr Gedächtnis üben sollten. Wenn sie Notizen zu Hilfe nehmen können, sind sie weniger sorgfältig und lernen nichts auswendig, und ihr Gedächtnis rostet ein. Ist das nicht so, junge Frau?«
    Die plötzliche Frage verwirrte Fidelma ein wenig.
    »Es ist ein Argument, das ich bereits gehört habe,
druimcli «
, versicherte sie ihm feierlich.
    Firbis zog die Mundwinkel verächtlich nach unten.
    »Aber du bist damit nicht einverstanden?« Seine Stimme klang scharf, seine Augen schauten durchdringend.
    »Unsere Vorfahren haben vor der Ankunft des Neuen Glaubens viele wichtige Dinge nicht aufgeschrieben. Das hat dazu geführt, dass vieles davon für die Nachwelt nicht erhalten blieb.

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