Todesfee
Frau heißt Blinne. Bláth ist ihre Schwester. Sie hilft auf dem Hof mit. Ein nettes Mädchen. Kommt jede Woche in die Kapelle und singt die Psalmen.«
»Und wie ging es Blinne zu der Zeit?«
»Sie war verzweifelt. Außer sich vor Kummer. Sie hat ihren Mann sehr geliebt.«
»Ich verstehe. Und Bláth hat dir … was erzählt?«
»Bláth sagte, sie sei in den vergangenen drei Nächten von einem schrecklichen Heulen vor dem Bauernhaus aufgeweckt worden.«
»Hat sie die Ursache des Heulens erkundet?«
Der alte Mönch lachte sarkastisch.
»Das ist eine ländliche Gemeinde. Wir leben hier mit der Natur. Man geht nicht hinaus und erkundet das Heulen einer Todesfee.«
»Der Neue Glaube hat uns doch gewiss gelehrt, vor Wesen aus der anderen Welt keine Angst zu haben? Akzeptierst du als Christ wirklich, dass es eine Frau von den Hügeln gibt, ein Gespenst, das an die Schwelle eines Menschen kommt, dessen Tod |182| naht, und dort mitten in der Nacht heult und wehklagt?«, fragte Fidelma.
»Als Christ muss ich das glauben. Spricht nicht die Heilige Schrift von den Seelen und Geistern, die sowohl Gott als auch Satan dienen? Wer weiß, wem die Frau von den Hügeln dient? In alten Zeiten hieß es, die Todesfee sei eine Göttin, die einer bestimmten Adelsfamilie verbunden war, und wenn es Zeit für einen davon war, im Jenseits wiedergeboren zu werden, heulte der Geist, um seinen bevorstehenden Tod in dieser Welt anzukündigen.«
»Ich kenne die Sage«, sagte Fidelma leise.
»Man sollte sie nicht einfach abtun«, versicherte ihr Bruder Abán tiefernst. »Als kleiner Junge hat mir ein Nachbar eine Geschichte erzählt. Anscheinend war für seinen Vater, einen alten Mann, die Zeit gekommen, zu sterben. Vor ihrem Haus war ein klagendes Heulen zu hören. Als der Sohn am nächsten Morgen hinausging, fand er einen seltsamen Kamm. Er hob ihn auf und trug ihn ins Haus. In der folgenden Nacht war das Heulen wieder zu vernehmen, doch diesmal klapperten die Türen und Fenster, als würde jemand versuchen, hineinzugelangen.
Der Mann merkte, dass es die Todesfee war; er griff mit einer Zange nach dem Kamm und hielt ihn aus dem Fenster. Unsichtbare Hände nahmen den Kamm, und die Zange wurde hin- und hergeschüttelt und völlig verdreht. Hätte er den Kamm mit der Hand aus dem Fenster gehalten, wäre ihm der Arm abgerissen worden. Solche Kraft hat die Todesfee.«
Fidelma senkte den Blick und versuchte, sich ein Lächeln zu verkneifen. Offenbar war Bruder Abán durch und durch im alten Aberglauben verhaftet.
»Kommen wir zurück zu Ernán«, schlug sie sanft vor. »Du sagst also, dass seine Schwägerin, Bláth, dieses Heulen gehört hat, und zwar in drei aufeinanderfolgenden Nächten?«
|183| »Die dritte Nacht war jene, nach der Ernán tot aufgefunden wurde.«
»Und Blinne hat das Heulen ebenfalls gehört?«
»Ich habe mich nur mit Glass, dem Müller, unterhalten. Der hat das Heulen auch vernommen.«
»Also hast du mit Blinne, Ernáns Frau, nicht geredet?«
»Wie du dir vorstellen kannst, ging es ihr nicht so gut, dass sie mit mir hätte sprechen wollen.«
»Schön. Wer hat die Leiche entdeckt?«
»Bláth ist in der Früh aufgestanden, um die Ziegen zu melken und hat Ernán vor dem Haus gefunden. Er war schon seit einigen Stunden tot. Bláth glaubt, dass …«
Fidelma hob die Hand.
»Ich werde erfahren, was sie glaubt, wenn ich mit ihr rede. Und dann ist sie zu dir gekommen?«
»Richtig. Ich sah mir die Leiche an, während sie ins Haus ging, um Blinne zu trösten.«
»Wo ist die Leiche jetzt?«
»In der Kapelle. Wir werden sie heute begraben.«
»Ich würde mir diese Wunde, von der du sprichst, gerne anschauen.«
Bruder Abán rutschte unbehaglich herum.
»Ist das notwendig? Schließlich bist du …«
»Ich bin eine
dálaigh
und an den Anblick von Menschen, die eines gewaltsamen Todes gestorben sind, gewöhnt.«
Der alte Mönch zuckte die Achseln.
»Den Leichnam eines Menschen, den die Todesfee geholt hat, sieht man nicht oft«, murmelte er.
»Sind in dieser Gegend in letzter Zeit Wölfe aufgetaucht?«
Es war eine ganz harmlose Frage, doch Bruder Abán merkte, worauf sie hinauswollte, und verzog ärgerlich das Gesicht.
»Du wirst seinen Tod nicht auf den Angriff eines Wolfes |184| schieben können, Schwester«, sagte er. »Ich weiß, wie es aussieht, wenn ein Mensch von einem Wolf gerissen wurde. Ein Wolf geht kaum auf einen erwachsenen, starken Mann los. Und das Heulen war eindeutig nicht das eines Wolfes. Dir
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