Todesfee
mischen.«
»Sicher. Wie geht es dir jetzt?«
»Wie zu erwarten ist. Ich fühle mich nicht gut. Mir ist übel, und ich habe Kopfschmerzen.«
Fidelma lächelte und erhob sich. »Ich habe deine Geduld schon zu lange beansprucht.«
Blinne erhob sich ebenfalls.
»Wo finde ich deine Schwester Bláth?«, fragte Fidelma.
»Ich glaube, sie ist zu Glass, dem Müller, gegangen.«
»Gut, mit ihm muss ich auch noch sprechen.«
|190| Blinne blieb zögernd an der Tür stehen. »Man hat dir also erzählt, dass Glass behauptet, das Heulen in der Nacht gehört zu haben?«
»Ja.«
Blinne biss sich auf die Unterlippe.
»Ich jedenfalls habe nichts gehört. Aber …«
»Aber …?«
»Bláth sagte … die Leute glauben … Ich … Ich weiß nicht, was ich denken soll. Viele Leute glauben an die Todesfee.«
Fidelma legte ihre Hand auf den Arm der jungen Frau.
»Wenn es die klagende Frau von den Hügeln gibt, dann besteht ihre Aufgabe angeblich darin, den Tod anzukündigen, den Übergang einer Seele vom Diesseits ins Jenseits zu beklagen. Es heißt, dass die Todesfee nur warnt, aber niemals den Tod herbeiführt. Ob du das glaubst oder nicht, ist deine Sache. Ich persönlich denke, dass die Todesfee – wie übrigens alle anderen Geistererscheinungen, denen ich begegnet bin – nichts anderes ist als eine sichtbare Manifestation unserer eigenen Ängste, deren bildlichen Ausdruck wir nicht in den Grenzen unserer Träume halten können.«
»Und doch …«
»Blinne«, unterbrach Fidelma sie mit kalter Stimme, »dein Mann wurde weder von einer Todesfee noch von einem Tier getötet … Er starb durch die Hand eines Menschen. Bevor dieser Tag vorüber ist, wird der Missetäter vor mir stehen.«
Bruder Abán zeigte ihr den Pfad zu Glass’ Mühle. Der Weg führte an einem kleinen Fluss entlang, der sich bergab wand und in den großen Fluss, den Siúr, mündete. Während sie durch ein Birkenwäldchen ging, hörte sie eine kräftige Männerstimme, die deklamierte:
|191| »Keine Freude empfinde ich
jene Tat, die ich begangen, quält sie, quält sie …«
Auf einem Felsen am Fluss saß ein junger Mann. Das Knacken eines Zweiges verriet ihr Nahen, und er fuhr herum. Sein Gesicht lief blutrot an, als wäre er bei einer Missetat ertappt worden.
Fidelma erkannte ihn.
»Ich grüße dich, Tadhg«, sagte sie.
Er errötete noch mehr. »Du weißt, wer ich bin?«
Fidelma ging nicht auf seine Frage ein, sondern sagte: »Ich bin Schwester …«
»Fidelma«, warf der junge Mann ein. »Deine Ankunft hat sich herumgesprochen. Wir sind hier ja nur wenige.«
»Natürlich. Wie gut hast du Ernán gekannt?«, fuhr sie ohne weitere Einleitung fort.
»Ich kannte ihn«, antwortete er abweisend.
»Ja, aber wie gut? Dass sich in dieser Gemeinde alle kennen, davon gehe ich aus.«
Tadhg zuckte gleichgültig die Achseln.
»Wir sind zusammen aufgewachsen, bis ich in die Bardenschule kam. Dort, wo sie einst war, steht jetzt das Kloster, das Finnan der Aussätzige gegründet hat.«
»An dem Ort, den sie Finnan’s Height nennen? Ich habe von der alten Schule gehört. Wann bist du hierher zurückgekehrt?«
»Vor etwa einem Jahr.«
»Da hast du wahrscheinlich deine Freundschaft mit Ernán erneuert?«
»Ich habe nicht gesagt, dass ich sein Freund war, nur, dass wir zusammen aufgewachsen sind, wie die meisten Leute meines Alters hier.«
»Heißt das, dass du ihn nicht mochtest?«, fragte Fidelma schnell.
|192| »Man muss nicht jeden mögen, den man kennt oder mit dem man zusammen aufgewachsen ist.«
»Das ist wahr. Warum hast du ihn nicht gemocht?«
Der junge Mann verzog das Gesicht.
»Er war arrogant und hielt sich für etwas Besseres als …«
»Ein Dichter?«, fragte Fidelma.
Tadhg warf ihr einen raschen Blick zu und sah dann zu Boden, als würde er ihr beipflichten.
»Er war Bauer und hielt Kraft und Aussehen für das Wichtigste. Mich nannte er einen schwächlichen Parasiten, der nicht einmal imstande wäre, seinen Schweinestall auszumisten. Die meisten Leute wussten, wie arrogant er war.«
»Und doch hat man mir erzählt, dass Ernán beliebt war und keine Feinde hatte.«
»Dann hat man dir etwas Falsches erzählt.«
»Blinne hat mir das gesagt.«
»Blinne?« Der Kopf des jungen Mannes schnellte in die Höhe, und wieder liefen seine Wangen rot an.
Fidelma preschte instinktiv vor.
»Du hast Blinne sehr gern, nicht wahr?«
Jetzt verdüsterte sich die Miene des jungen Dichters.
»Hat sie dir das gesagt? Nun, wir sind ebenfalls
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