Todesfee
beendete Fidelma den Satz mit unveränderter Miene. »Hatte er einen Liebhaber?«
»Ich glaube, er hatte gerade an einem jungen Novizen Gefallen gefunden.«
»Wann hat er seine Beziehung mit dir beendet?«
»Vor sechs Monaten.«
»Warst du darüber zornig?«
»Traurig. Ich war nicht …« Plötzlich weiteten sich die Augen des jungen Mannes. »Glaubst du, dass ich … dass ich ihn getötet habe?« Seine Stimme wurde lauter und höher, sodass sich einige andere in der Küche nach ihnen umdrehten.
»Hast du es getan?« hakte Fidelma ungerührt nach.
»Ich habe es nicht getan!«
»Und Bruder Cett? Er ist in deinem Alter. Hatte er eine Beziehung mit Roilt oder mit dir?«
Enda lachte rau. »Bruder Cett ist nicht so. Er liebt die Frauen viel zu sehr.«
»Zwischen dir und Bruder Cett besteht kein Gefühl, das über Brüderlichkeit hinausgeht?«
»Wir sind Freunde, mehr nicht.«
»Ich habe gehört, dass Roilt unbeliebt war. Vielleicht wegen seiner sexuellen Vorlieben? Manche Menschen töten aus Angst vor Dingen, die sie nicht verstehen können.«
»Ich kann dir nur sagen, was ich weiß«, beharrte der junge Mann.
»Mehr verlange ich nicht von den Unschuldigen«, sagte Fidelma |253| mit einem leisen Lächeln. »Schick Bruder Torolb zu mir.«
Torolb war ein Mann von etwa zwanzig Jahren. Er sah gut aus und wirkte jugendlich und noch ein wenig unreif, wenngleich er kaum älter war als Enda oder Cett. Er hatte dunkle Augen und entschlossene Gesichtszüge, die verrieten, dass mit ihm nicht zu spaßen war. Er trug eine kurze Lederschürze über seiner Mönchskutte.
»Du hast die Aufgabe, die Fleischgerichte zuzubereiten?«, fragte sie. Torolb nickte; er war auf der Hut.
»Seit wann bist du hier in der Küche beschäftigt?«
»Seit ich im ›Alter der Wahl‹ ins Kloster kam.«
»Vor drei oder vier Jahren?«
»Vor vier Jahren.«
»Also hast du deine Kochkenntnisse in dieser Küche erworben?«
Torolb lächelte schwach. »Zum Teil. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, wo ich schon als Junge gelernt habe, Tiere zu schlachten und Fleisch zuzubereiten. Deshalb bat ich ausdrücklich darum, in der Küche arbeiten zu dürfen.«
Fidelma blickte an seiner Kleidung hinab. »Du hast Blut an deiner Schürze«, bemerkte sie.
Torolb lachte kurz auf. »Man kann nicht schlachten und Fleisch schneiden, ohne dabei blutig zu werden.«
»Natürlich.« Fidelma seufzte. »Wie gut kanntest du Bruder Roilt?«
Auf Torolbs Gesicht spiegelte sich Unmut. »Ich kannte Roilt«, antwortete er knapp.
»Du hast ihn nicht gemocht?«
»Warum hätte ich ihn mögen sollen?«
»Er war Chefkoch, und du warst ihm unterstellt. Die Menschen hegen gegenüber jenen, mit denen sie arbeiten, Gefühle, |254| und ein älterer Mann übt gewöhnlich Einfluss auf die jüngeren Männer aus.«
»Roilt konnte nur leichtgläubige Jungen wie Enda beeinflussen. Andere haben ihn verachtet.«
»Andere wie du?«
»Ich leugne es nicht. Ich befolge das Gesetz.«
»Das Gesetz?« Fidelma runzelte die Stirn.
»Das Gesetz Gottes, des Vaters von Jesus Christus«, antwortete der junge Mann heftig. »Dieses Gesetz findet man bei Leviticus 10 , es besagt: ›Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben; Blutschuld lastet auf ihnen.‹ So steht es geschrieben.«
Fidelma betrachtete den finsteren jungen Mann nachdenklich. »Das glaubst du?«
»Das steht geschrieben.«
»Aber glaubst du es?«
»Wir müssen doch gewiss das Wort der Heiligen Schrift glauben?«
»Und würdest du so weit gehen, das Wort dieser Schrift in die Tat umzusetzen?«
Die Augen des jungen Mannes verengten sich; er sah sie misstrauisch an. »Es ist uns verboten, Selbstjustiz zuüben und zu töten. Wenn du mich also beschuldigst, Bruder Roilt umgebracht zu haben, dann irrst du dich. Doch hätten jene, die nach dem Gesetz das Recht dazu haben, gesagt, er solle hingerichtet werden, hätte ich keinen Finger gerührt, um es zu verhindern.«
Fidelma schwieg einen Moment und fragte dann: »Als du als junger Novize hierherkamst, hat Roilt dir gegenüber Annäherungsversuche gemacht?«
|255| Bruder Torolb reagierte zornig. »Du wagst es, mir zu unterstellen …«
»Du vergisst dich, Bruder Torolb!«, rief Fidelma. »Du sprichst mit einer
dálaigh
, einer Anwältin, die nach den Gesetzen des Fénechus Recht spricht. Ich stelle Fragen, um die Wahrheit herauszufinden. Deine Pflicht ist es, zu antworten.«
»Ich sage
Weitere Kostenlose Bücher