Todesfessel - Franken-Krimi
verschiedenster Marken und Restfüllhöhen. Eine halb leere Packung WASA -Knäcke bei Barbara. Fünf Schokoriegel bei Tom, dazu der HARIBO -Eimer der SOKO , um dessen Standort regelmäßig erzürnte Kleinfehden ausbrachen. Die Kaffeemaschine, die wieder niemand sauber gemacht hatte. Und, unsichtbar über allem, jene ureigene Mischung aus Anspannung, Frust und Konzentration, der permanenten, zwanghaften Suche nach dem übersehenen Puzzleteil, nach dem genialen Geistesblitz, der schlagartig alles logisch zusammenfügen konnte …
Am Whiteboard und an den großen Stellwänden die Tatkomplexe, intern abgekürzt mit » LTC « für Landestheater Coburg und » SW « für Schweinfurt. Daneben seit Samstag der dritte Abschnitt » ANN-SOPHIE «.
Der doppelte Overkill und jetzt das mysteriöse Verschwinden einer dritten Ballerina. Wie die Faust aufs Auge dazu die abgegriffene Fotokopie auf Barbaras Schreibtisch, eine Handreichung des BKA zur Fallanalyse. Barbara hatte die Schlüsselsätze mit gelbem Leuchtstift markiert: »Der Modus Operandi des Täters, ein dynamisches und veränderbares Verhaltensmuster, das erlernt wird. Er entwickelt sich fortlaufend dadurch weiter, dass der Täter an Erfahrung und Selbstvertrauen gewinnt.«
Genauso musste es sein. Genau das schürte die Hoffnung, Ann-Sophie noch zu retten. Nachdenklich blieb Charly vor der großen Franken-Karte stehen.
Wo war Ann-Sophie?
Zwei rote Tatortfähnchen »Mord« und »Mordversuch«; Coburg im Norden und, südwestlich davon, Schweinfurt. Gab es einen dritten Punkt auf der Karte, der zu den beiden anderen passte?
Ergaben sie zusammen das Muster eines Tanzschritts?
Gab es einen »Ballerina-Code«?
Und wo war Henze, der akademische Shibari-Liebhaber? »In Fürth noch nicht eingetroffen«, so die letzte Meldung um neunzehn Uhr fünfunddreißig, »auch Nora Henderson aktuell nicht erreichbar«.
Gelächter draußen auf der Treppe.
»… no, und dei Chef?«
»Hod blueß geguggd wie a Wöschdbrödla – und is gleich widder naus!«
Erneut schallendes Gelächter. Vermutlich irgendwelche Kollegen der »Trachtengruppe«, der uniformierten Spätschicht; Lichtjahre entfernt von der Arbeit der SOKO …
Charly öffnete die Red-Bull-Dose. Es zischte kurz, bevor er ansetzte. Vergiss die Mondphasen nicht, fuhr es ihm plötzlich durch den Kopf. Ein alter Hinweis seines einstigen Chefs beim PP München, Polizeidirektor Josef-Othmar Ferschl. Friede seiner Asche.
Doch zwischen Kim und Tanja lagen ganze drei Tage. Ein Mondkalender mochte beim Blumengießen oder Haareschneiden helfen, hier ganz sicher nicht. Charly nahm wieder einen tiefen Schluck aus der Dose.
Wo war der rote Faden, vom Overkill an Kim LaYoung über den Beinahe-Overkill an Tanja Malischek bis zum Verschwinden von Ann-Sophie Langenau?
Die Eckpunkte des Täterprofils standen unverrückbar fest: Männlich, fünfundzwanzig bis fünfundvierzig Jahre, mit hohen Absätzen circa einen Meter neunzig groß, sportlich schlank, Vorliebe für weibliche Kleidung. Oder war es gar keine Vorliebe – war es vielmehr Hass? Spiegelte sich in der Verkleidung schon der Hass auf seine Opfer wider, auf diese idealtypischen Verkörperungen femininer Anmut?
Charly kratzte sich am Hinterkopf. Ein interessanter psychologischer Ansatz für Barbara, aber leider ohne jede praktische Bedeutung für die Suche nach Ann-Sophie. Missmutig fuhr er das EPS -Web-Programm in seinem Laptop hoch und zoomte auf das große Zeitraster:
Mord
Kim LaYoung
11.9.
Versuchter Mord
Tanja Malischek
14.9.
Verschwinden
Ann-Sophie Langenau
18.9.
Vielleicht musste man das Pferd von hinten aufzäumen. Ann-Sophie fiel aus dem Rahmen, Ann-Sophie könnte der Schlüssel sein … Er zog das Menu hoch, überlegte kurz und klickte willkürlich auf den Ordner »Victor«.
Letzte erstellte Datei: Auszug Terminkalender
Montag 31.8.
Kalender-Fotosession Kim
Freitag 4.9.
Kalender-Fotosession Tanja
Charly öffnete das Zeitraster in der Parallelansicht. Die Fototermine lagen weiter auseinander als die Tatzeitpunkte.
Keine Parallelen.
Keine Rückschlüsse möglich auf den Zeitpunkt einer eventuellen Ermordung von Ann-Sophie.
Er starrte auf den Bildschirm und nagte an seiner Unterlippe. Sein Bauchgefühl, zumindest das dienstliche, trog ihn nur selten: Es musste einen zeitlichen Zusammenhang geben, der den Ermittlungen weiterhalf, er war sich absolut sicher. Time is on my side …
Vom Fototermin bis zum Mord waren es bei Kim elf Tage. Bei Tanja zehn Tage – wieder
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