Todesfessel - Franken-Krimi
keine Parallele. Ann-Sophie war nicht von Victor fotografiert worden. Wäre der Tag ihres Verschwindens ein Fototermin gewesen, überlegte er, und würde man die Reihe »Zwölf Tage – Elf Tage« mit »Zehn Tage« fortsetzen, dann käme man auf den 28. September als Todestag und hätte …
Käme. Hätte. Hätte, täte, tüte – der Konjunktiv, der ewige Fluch des Kriminalisten …
Charly schwirrte der Kopf. Schluss jetzt mit schwachsinnigen Zahlenspielereien und »Pferd von hinten aufzäumen«! Der Blick musste nach vorn gehen: War es nicht viel wahrscheinlicher, dass der Wahnsinnige nach maximaler Aufmerksamkeit gierte? Dass er sich auf nächsten Samstag fokussierte, den Tag der verschobenen Coburger Theaterpremiere?
Verschoben … verschieben … Verschiebung … Ein vager, unbestimmter Gedanke stieg in ihm hoch. Er griff zum Handy.
»Barbara? … Sorry, nur ganz kurz noch, zur Psychologie des Täters; ja, du weißt schon … Stichwort: Verschiebung … Verschiebung oder Chiffrierung einer Tat. Da gibt’s doch eine ganz bekannte Abhandlung, wo finde ich die auf die Schnelle?« Er kramte nach seinem Kugelschreiber. »Bei Harbort, ah ja, da wär ich zur Not noch selbst draufgekommen, und wo genau … warte … ›Kriminalistik‹, Jahrgang 99 oder 2000 …«
Auf dem Bildschirm erschien: »Neue E-Mail Facebook: Du hast Nachricht von Corinna.«
»Kann sein, dass ich kurz vor einem Durchbruch stehe«, lachte er. »Aber das vertiefen wir morgen früh mal, ich muss jetzt erst noch ein paar Mails abarbeiten. Schlaf schneller, Miss Bavaria, bis morgen!« Er legte auf und öffnete die neueste E-Mail:
»hi charly,
da war doch neulich was mit einem spontanen kaffee, gilt deine einladung noch? Die rennsteig-datscha hat nen wasserrohrbruch, ich fahr jetzt heim und könnte in ner stunde in coburg sein …
lg, Corinna«
Er drückte auf »Antworten«.
»hey Corinna,
22:00 in der Bar Celona, ich wart auf dich. Fahr ins parkhaus zinkenwehr, is breiter und heller als parkhaus mauer.
c u – charly«
20:41 Uhr – Irgendwo in Franken
Er raschelte mit dem fest verklebten schwarzen Müllsack, schwenkte ihn triumphierend vor ihrem Gesicht.
»Tod und Verwesung! Die Wäsche einer halb verwesten Leiche wartet auf dich!«
Angeekelt drehte sie ihren Kopf zur Seite.
Sie fror entsetzlich. Er hatte ihr auch noch das Oberteil, ihr weißes Lieblingssweatshirt, ausgezogen. Ihr Kiefer war weit aufgespreizt vom viel zu großen roten Hartgummiknebel, der Schmerz zog jetzt schon bis in den Nacken. »Die Muskeln müssen warm bleiben«, warnend gellte die Trainerstimme durch ihren Hinterkopf, »haltet euren Körper warm … Die Füße sind wie Hände …«
Doch Füße wie Hände waren unerbittlich fixiert, mit hässlichen braunen Lederriemen. Ihre Füße, gewöhnt an ständige Wärme und Pflege, schienen zu erstarren … oder waren sie schon taub? Ein neuerlicher Stich der Angst, kurz und heiß zuckte er durch ihren völlig erschöpften und verkrampften, nur noch mit Slip und Sport- BH bekleideten Mädchenkörper.
Absterbende Gliedmaßen, ein Tod auf Raten …
Stilettos klackerten auf dem alten Betonfußboden. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie er in seinen Frauenkleidern hinausstöckelte. Eine Schranktür knarzte im Nebenraum, dann begann der Kassettenrekorder wieder zu leiern. Immer wieder derselbe Song, inzwischen kannte sie ihn auswendig: Erst Gewitterregen und Donner, dann die sadistisch gelangweilte Männerstimme: »Riders on the storm …« Sie kannte den Sänger nicht, vielleicht war es dieser perverse Psychopath selbst … Mit einem Buch, dessen Titel sie nicht entziffern konnte, kam er zurück und setzte sich wieder neben sie.
»So, Kleine. Interessiert es dich, wie es hier mit dir weitergeht?«
Ann-Sophie nickte schwach. Sie sah das dilettantische dicke Make-up, das unter seinem rechten Auge zu bröckeln begann. Seine rot glänzenden Lippen grinsten breit.
»Überspringen wir die ungemütlichen nächsten Stunden hier, schauen wir doch ein paar Tage voraus.« Er schlug das Buch auf und hielt es seitlich etwas näher an die Teelichter hinter ihm. »Du hast seit Freitag nur ein paar Tropfen Wasser bekommen … in wenigen Tagen wirst du tot sein. Natürlich erlebst du zuvor noch bei vollem Bewusstsein, wie deine kostbaren, hochtalentierten … ar-ro-gan-ten … Ballerinafüßchen langsam absterben …« Er hielt inne und weidete sich an dem neu aufflackernden Schluchzen, das leise hinter ihrem Knebel
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