Todesfinal
gäbe es nur ihn und den Grauen, als wären sie hier abgeschottet von der Welt. Die Kälte kroch ihm unter die Jacke.
Der Graue lehnte sich zurück. Morlov starrte ihn an. Er wirkte älter als sonst, die Haare unter dem Hut noch verfilzter, die Furchen in seinen Gesicht tiefer, und das Grau der Haut noch stärker in dem diffusen Licht der Bar.
»Wer bist du eigentlich?«, fragte Morlov plötzlich. Einen Augenblick war er erschrocken über sich selbst, dass er diese Frage gestellt hatte. Aber es war an der Zeit, diese Frage zu stellen.
Der Graue antwortete nicht gleich. »Weißt du es immer noch nicht?«
Morlov schüttelte den Kopf. Der Graue ließ ein Lachen hören.
»Ein Freund«, sagte er dann. »Ich bin ein guter Freund.« Dann sah er Morlov lange an. »Du musst mir einfach vertrauen«, sagte der Graue.
Morlov blickte ihn erwartungsvoll an. Er wünschte sich, dass der Graue noch weitersprach, aber der blieb stumm.
Morlov überlegte, ob er noch ein Bier trinken sollte. Er genoss dieses wohlige Gefühl, dass ihm alles egal war.
Auf einmal spürte er einen leichten Luftzug. Morlov wollte sich dem Grauen zuwenden, aber der war weg.
•
Skamper stand mit Dora am Fuß des Glatzensteins, wo er und Viktor abgestürzt waren. Jetzt, am Vormittag um elf Uhr, wirkte die Umgebung ganz anders als in der Nacht, als Skamper mit Arabella und Viktor hier gewesen war.
Skamper hatte sich gewundert, dass Dora sofort bereit gewesen war, mit ihm herzukommen. »Ich bin froh, dass du Zeit hattest«, sagte er.
Es ging ein leichter, böiger Wind. Nach den schönen Tagen Anfang April war es noch einmal kalt geworden. Dora hatte einen dicken, schwarzen Anorak mit einem Fellkragen an.
Dora sah Skamper kurz an. »Wo ist jetzt genau die Stelle, wo ihr abgestürzt seid?«
Skamper ging ein paar Schritte nach vorne und sah nach oben. Er zeigte auf eine Stelle in der Nähe des Vorsprungs, von dem aus er und Viktor abegestürzt waren. »Bis dort auf den Vorsprung haben wir uns abgeseilt. Und dort war dieser Arm.«
Dora stellte sich neben ihn und blickte zu der Stelle, auf die Skampers ausgestreckter Arm deutete. Im Felsen gab es eine kleine Spalte, aber sonst war nichts zu sehen.
»Vielleicht eine optische Täuschung, es war schließlich Nacht.«
Skamper schüttelte den Kopf.»Nein, aber dass da heute nichts mehr zu sehen ist, war mir klar.« Er überlegte kurz, ob er hochklettern sollte, um sich das Ganze genauer anzusehen, aber ohne Kletterausrüstung war das sinnlos. Wenn es überhaupt Hinweise dafür gegeben hatte, dass man bei ihrem Unfall nachgeholfen hatte, dann waren sie sicher nicht mehr zu finden.
Die ganze Geschichte kam Skamper jetzt bei Licht besehen mehr und mehr absurd vor.
»Warum wolltest du eigentlich, dass ich dabei bin, wenn du dir das noch einmal anschaust?«, fragte Dora.
»Es hätte ja wieder irgendwelche Verbotsschilder geben können. Und da wollte ich den Schutz der Polizei.« Skampers Stimme klang ironisch. Dora sah ihn einen Moment fragend an, doch er blickte immer noch angestrengt auf die Felswand vor sich.
»Ich habe in der Zeitung von deinem Vortrag gelesen«, sagte Dora.
»Schade, dass du nicht da warst.«
»Ich hatte keine Zeit«, antwortete sie ausweichend.
»Ich hätte mich gefreut.«
Sie blickte ihn überrascht an. »Ich habe auch gelesen, dass du wieder eine Suche vorbereitest.«
»Das ist eher ein Wunsch. Im Augenblick muss ich ja noch hier bleiben wegen des Testaments.« Skamper starrte immer noch nach oben zu der Stelle, wo sie in der Nacht einen Arm gesehen hatten. »Wie läuft es so mit dir und Alfred?«, fragte er.
»Gut.«
Hinter ihnen hörten sie das Keuchen eines Mannes. Skamper drehte sich um und sah einen Jogger, der an ihnen vorbeilief. Er blickte ihm nach, wie er in dem Forstweg verschwand, der zu der Straße führte.
»Wir können nicht immer so weitermachen«, sagte Skamper plötzlich. »Irgendwann müssen wir reden.« Er sah sie das erste Mal während ihres Gesprächs an. Sie wich seinem Blick aus.
Skamper blickte wieder nach oben zu dem Felsen, er wartete, dass Dora etwas sagte, aber sie blieb stumm.
Auf einmal fühlte Skamper sich müde. Er wusste, dass er ungerecht war. Es war sein Schweigen, das ihre Ehe zerstört hatte. Er musste endlich anfangen zu reden.
»Gehen wir«, sagte Dora leise.
•
»Wie funktioniert das überhaupt, dieses Geocaching?«
Jasmin saß auf dem Rücksitz von Skampers Ford Kombi und hatte sich nach vorne gebeugt. Arabella und sie hatten
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