Todesflut: Thriller
ihre nächste Chance, an Daten über eine potenzielle Welle zu kommen.
»Wann übermittelt die DART-Boje die aktuelle Wellenhöhe?«, fragte Kai.
»Der Wellenkamm erreicht die Messboje etwa fünf Minuten nach Johnston Island. Der Kapitän der Miller Freeman meinte, sie würden die Satellitenverbindung in zehn Minuten wiederhergestellt haben, was gerade noch rechtzeitig wäre. Es sieht danach aus, als wäre die Pegelmessung in Johnston unsere erste Chance, verbindlich festzustellen, ob uns ein Tsunami droht.«
Bis jetzt hatte sich Brad als unbeteiligter Zuschauer im Hintergrund befunden, nun konnte er nicht mehr an sich halten.
»Du bist bereit, zwanzig Minuten zu opfern, damit du dir sicher bist?«
»Und wie sieht die Alternative aus? Die Evakuierung von einer Million Menschen anzuordnen, weil es einen Stromausfall gegeben hat?«, konterte Reggie.
»Du willst ihren Tod riskieren, weil du meinst, es könnte eine kaputte Stromleitung sein?«
»Ich sage ja nur, dass wir mehr Daten brauchen«, verteidigte sich Reggie. »Wenn wir es mit einem 9,0-Beben zu tun hätten, würde ich keine Sekunde zögern, eine Warnung abzusetzen. Um aber die Weihnachtsinsel von der Karte zu fegen und unseren Pegel obendrein, müsste der Tsunami riesig sein – mindestens sechs Meter hoch. Bloß, ein Erdbeben der Stärke 6,9 kann einfach keinen Tsunami in dieser Größenordnung auslösen.«
»Da bist du dir ganz sicher?«
»Ich habe jeden größeren Tsunami in den vergangenen sechzig Jahren unter die Lupe genommen. Es gibt kein historisches Beispiel für einen solchen Fall. Hast du übrigens eine Ahnung, was eine Evakuierung kostet? Man wird uns ans Kreuz nageln, wenn wir danebenliegen, besonders bei dem spärlichen Datenmaterial, das uns bisher zur Verfügung steht. Ich finde, wir sollten die zwanzig Minuten noch dranhängen. Wenn der Pegel in Johnston ebenfalls streikt, bin ich für eine Warnung.«
Zwanzig Minuten. Bei einer Massenevakuierung wäre jede Minute kostbar. Schon jetzt blieb ihnen weniger als eine Stunde, bevor die Welle – sofern es eine gab – die Südspitze von Big Island erreichte, überlegte Kai. Er musste jetzt handeln. Dann stellte er sich erneut die Schlagzeilen vor, die ihn anprangerten, weil er eine unnötige Evakuierung ausgelöst hatte. Er dachte an die internen Überprüfungen, weil er sich über bewährte Verfahrensweisen hinweggesetzt hatte. Er ließ die möglichen politischen Folgen Revue passieren, weil wieder einmal ein Angestellter des Bundes eine Fehlbesetzung gewesen war. Auch die Folgen für seine berufliche Laufbahn wurden ihm klar. Man würde ihn feuern, ihm mangelnde Berufserfahrung und fehlendes Urteilsvermögen vorwerfen.
Andererseits sagte ihm sein sechster Sinn, dass es sich hier nicht um einen einfachen Stromausfall handelte. Wieso das so war, wusste er nicht. Logisch betrachtet gab es natürlich wenig Veranlassung, sich Gedanken über einen gefährlichen Tsunami zu machen. Aber mit Sicherheit auszuschließen war er auch nicht. Und das machte ihm am meisten Angst.
Zuletzt entschied er einfach danach, was am besten für seine Familie war. Seine Tochter vergnügte sich am Strand. Seine Frau arbeitete in einem Hotel, das nur fünfzig Meter vom Strand entfernt lag. Er konnte mit dem Gedanken leben, seine Arbeit zu verlieren, weil er eine falsche Entscheidung getroffen hatte. Er würde aber nicht damit leben können, dass seine Frau und Tochter starben, weil er die falsche Entscheidung getroffen hatte.
»Wir haben bereits dreißig Minuten verstreichen lassen«, sagte er leise. »Länger dürfen wir nicht warten.« Er klang wenig überzeugend. Als er Reggies und Brads erwartungsvolle Blicke sah, räusperte er sich und schob die Schultern zurück. »Reggie, schick die Warnung raus! Ich rufe beim Bevölkerungsschutz an.«
»Bist du dir wirklich sicher?«, hakte Reggie noch einmal nach. »Wir haben bei dieser Warnung noch weniger Daten als bei der, die wir vor einem Jahr ausgegeben haben.«
Eine Mischung aus Sorge und dem Wunsch, Kai zu unterstützen, zeichnete sich auf Brads Zügen ab. Selbst als Außenstehender begriff er genau, dass sein Bruder eine schwerwiegende Entscheidung fällen musste.
Aber Kais Zögern gehörte der Vergangenheit an. Er konnte nicht zulassen, dass seine eigenen Zweifel andere beeinflussten und die Evakuierung dadurch weniger dringlich schien. Es näherte sich ein Tsunami, und sie mussten rasch und entschlossen handeln.
»Ich bin mir ganz sicher. Raus mit der
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