Todesformel
nichts von organisiertem Glauben. Der Stein ist makellos sauber, die Lettern glänzen. Felix Gamba hat dieses Grab in seiner Obhut gehabt, er muss die Schriften jeweils abgerieben haben.
Die Geschichte gehört zu Felix’ Leben, alle hier kennen sie. Damals, als der Steinhauer den alten Grabstein in sein Lager zurücknehmen wollte, zur Wiederverwertung, hat Felix Gamba seinen schwarzen Anzug angezogen, ist nach ›Holsten‹ gegangen und hat bei Charlotte Platen persönlich vorgesprochen. Er erhielt die Erlaubnis, diesen Stein unentgeltlich zu entsorgen. Felix hatte es Alja zu erklären versucht: Respekt, Verehrung für einen stillen, ganz besonderen Mann mit einem feinen Lächeln, ›Stella Maris‹ passte. Mit dem kleinen Friedhoftrax hat Felix den Stein in den Wald gebracht und an jenem idyllischen Platz zwischen den zwei Birken aufgestellt, ganz nah beim Weiher, dort stört er niemanden. Er liebte es, ihn zu sehen, vom Weg her oder eben von nah. Er putzte jeweils auch diesen Stein. Drum herum wächst jetzt ein Moosteppich.
Mit Alja bin ich einmal auf einem unserer Spaziergänge zu diesem romantischen Platz gekommen, ich habe ihn sogar Noël schon gezeigt und mit ihm die Lettern buchstabiert, lang ist es her. Uns beiden gefallen der Name Julian und der Ausdruck ›Stella Maris‹. Wir haben erörtert, ob dies nun der richtige Seestern sei. Für mich war ›Stella Maris‹ immer das Bild des Morgensterns, dieses strahlenden Sterns, der am hellen Morgenhimmel nah über dem Wasser schwebt, graublauem Wasser, das in einer scharfen Horizontlinie unter einem rosafarbenen Himmel liegt. Wer seinem Mann ›Stella Maris‹ auf den Grabstein schreibt, muss ihn sehr geliebt haben, verehrt und geliebt, innig.
Dieser Julian Platen-Delton ist jung gestorben, knapp dreißig. Er scheint hier sehr gegenwärtig zu sein. Überall gibt es Geschichten. Von reichen Leuten und mächtigen Leuten, wie die Delton es waren und die Platen es sind, wird das geringste Detail ihres Lebens nach Lust und Laune des Erzählers aufgenommen und ausgeschmückt.
Alja guckt koboldhaft unter ihrem Hut hervor, macht ein vielsagend leise belustigtes Gesicht, wegen Felix: Der Pfarrer hat in seinem Nachruf vergessen, dieses Grab zu erwähnen, alle wussten es doch. Felix’ Beziehung zu jemandem, der tot ist und den er kaum gekannt hat, ist wesentlich gewesen in seinem Leben. Er scheint dann seine Verehrung auf die Tochter, Meret Platen, übertragen zu haben, aus einer Art Verantwortung. Er schien sie zu sehen, wo immer sie war. Er war so glücklich, wie sie wieder auf ›Holsten‹ zu wohnen kam, das hat er einmal erwähnt. Auf ›Holsten‹ arbeitet zwar dieses Gärtnerehepaar, doch zumindest für die Straße, die hochführt, war er zuständig. Alja lächelt, Felix war sich sicher gar nicht bewusst, er richtete seine Arbeiten so ein, dass er Meret Platen womöglich täglich sehen konnte, von Weitem, sei es, wenn sie joggte, wenn sie in ihrem Rosengarten werkte, oder auch nur, wenn er ihr Auto wegfahren oder hochfahren sah. Was einer geliebt hat, wem er seine Gefühle schenkte, das macht doch sein Leben aus.
* * *
Ich sitze bei Alja beim Tee, wie Knuts ›Saab‹ auf dem gepflasterten Platz vorfährt. Er steigt aus, lang, schlaksig, streckt sich und kommt mit großen Schritten zum Haus. Ich werde froh und weiß wieder einmal, wie wichtig er ist in meinem Leben, wie sehr ich ihn liebe. Auch er strahlt, schließt mich fest in die Arme. Doch er ist hier, um mit Alja zu reden.
Alja sei ja ebenfalls an Felix’ Begräbnis gewesen. Sie kenne auch Meret Platen, die kluge, die etwas verschrobene der Platen-Frauen. Knut hat bisher nie mir ihr zu tun gehabt.
Nun ist diese gestern zu ihm gekommen, er hat seither darüber nachgedacht, hin und her. Er weiß nicht, was davon zu halten ist.
»Sie hat eigentlich normal gewirkt, ruhig, ausgeglichen. Eine gepflegte Frau um die fünfzig, von nah etwas mager zwar, eine etwas große Nase und vielleicht ein etwas fester Blick, wie studierte Frauen eben aussehen.« Knut verbessert sich: »Du nicht, Jenny, Dorothy ja auch ganz und gar nicht. Ich meinte, einige der studierten Frauen, Frauen, die mit Durchsetzungskraft begabt sind, wie sie doch mehrheitlich im Polizeidienst anzutreffen sind; Dorothy sagt, animusbetont.«
Meret Platen stand vor seiner Haustür und natürlich hat Knut sie hereingebeten. Es war sogar annähernd aufgeräumt. Sie kam sofort zur Sache: Es töne etwas verrückt, doch es sei real. Es gehe um den Tod
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