Todesfracht im Jaguar
Suleika längst wieder im Käfig war. Aber diesem
räuberischen Kerl ging es wie Klößchen. Er sah Raubkatzen-Gespenster; das hatte
ihn zur Umkehr veranlaßt und war ihm somit zum Verhängnis geworden.
Tim machte sich nicht die Mühe,
den Polizisten zu begleiten.
Bürgl kam auch schon nach einer
Minute zurück.
„Damit Sie’s wissen“, sprach er
zu dem Raubtäter, der noch immer wie Espenlaub zitterte. „Suleika wurde vorhin
eingefangen und schläft ihren Narkoserausch aus. Was Sie gesehen haben, ist
eine kleine Porzellanfigur auf der Fensterbank. Die Figur eines Tigers. So
groß.“ Was er mit den Händen anzeigte, waren die Maße eines Kinderschuhs. „Nur
so groß. Aber in dem Raum brennt eine Studioleuchte. Der Schatten des
Figürchens wird auf die gegenüberliegende Hauswand geworfen. Na, und da ist er
gewaltig.“
*
Irgendwo in Mailand.
Die südliche Nacht drückte ihre
Nase an die schmutzigen Fenster der Kfz-Werkstatt.
Kein Unbefugter befand sich in
der Nähe. Zwei Typen, die zu Ricardo Scattamonis Bande gehörten, paßten draußen
auf.
In der Werkstatt gleißte das
Licht der Neonröhren.
Ricardo, der Blinzler, lehnte
an der Wand, rauchte die dritte Zigarette — obwohl hier Rauchen verboten war —
und blinzelte in den Qualm.
Er hatte schwarze
Schmalzlocken, Tränensäcke — trotz junger Jahre — und schöne Zähne. In letzter
Zeit trug er nur weiße Anzüge. Seide oder Leinen. Jetzt mußte er aufpassen, daß
er sich diese lichte Kluft nicht mit Wagenschmiere verdarb.
Die hydraulische Hebebühne
hatte ihre vier Arme ausgebreitet und die Hebebühnenstempel unter den
Sauerlichschen Jaguar gepreßt, den Zwölfzylinder.
Pffffffffttt...
Die Hebebühne hob den teuren
Schlitten in etwa 180 Zentimeter Höhe. Die beiden Mechaniker, die seit langem
für Ricardo arbeiteten, paßten auf.
„Dann mal los! Presto (schnell) !“
meinte er und blinzelte heftig. „Es muß kein großes Versteck sein. Nur für zwei
Kilo. Aber sicher und unauffällig, wenn ich bitten darf. Presto!“
Er streckte den Arm zur Seite,
hielt die Zigarette weit von sich. Die empfindlichen Bindehäute seiner harten,
kalten Augen vertrugen den Qualm nicht. Sie vertrugen keinen Staub, keine
grelle Sonne, keine Blütenpollen, keine Seife, kein Meer- und kein
Hallenbad-Wasser. Immer mußte er blinzeln. Zum Teufel!
Die Mechaniker begannen ihre
Arbeit, schweißten an bestimmter Stelle die Bodenwanne auf. In einem der
Hohlräume dort sollte die Heroin-Sendung über zwei Grenzen nach Deutschland
reisen.
„Der Wagen gehört einem
Ehepaar“, plauderte Ricardo. „Biedere Leute. Schwerreich, wie man sieht. Die
werden sich freuen, wenn morgen früh ihr Wagen wieder hinter dem Hotel steht.“
„Aber wenn sie zu Hause sind, werden
sie sich wundern“, meinte Callabruzzio, einer der Mechaniker.
„Du meinst, weil dort ihr Wagen
zum zweiten Mal geklaut wird.“ Ricardo grinste und zeigte dabei mindestens 24
Zähne.
„Und wenn sie nun geschnappt
werden — an der Grenze“, sagte der zweite Mechaniker. „Dann sieht’s schlimm
aus, wie? Gefängnis nicht unter zehn Jahren.“
„Aber höchstens“, erwiderte
Ricardo. „Ich gehe doch davon aus, daß dieser Sauerlich keine Vorstrafen hat.
Aber wer weiß! Vielleicht ist er ein Obergauner in seiner Heimat; und die
Bullen warten nur darauf, ihn auf Lebenszeit hinter Gitter zu schicken. Nun
beeilt euch mal ein bißchen! Ich will noch in die Grand-Hotel-Bar.“
8. Die Ferien fangen traurig an
Nachts hatte es geregnet. Aber
der letzte Schultag vor den Sommerferien begann mit einem goldenen Morgen.
Sonnenlicht fiel ins ADLERNEST,
in die Bude der beiden Internatsschüler Tim und Klößchen. Überall im Haus
herrschte noch Ruhe. An planmäßigen Unterricht war heute ohnehin nicht zu
denken. Es ging eigentlich nur noch um die Zeugnisausgabe, um Abschlußfeier und
große Verabschiedung.
Sämtliche Internatsschüler
reisten heim. Den weitesten Weg hatte ein Junge aus der 10 a, dessen Eltern in
Rio de Janeiro wohnten. Den kürzesten Weg hatte Klößchen. Sein Zuhause war
gleichsam in Sichtweite — in der Villa Sauerlich an der Eichen-Allee; und die
gehört bekanntlich zur nahen Großstadt. Daß Klößchen nicht von dort jeden
Morgen zum Unterricht kam, war seinem Dickkopf zuzuschreiben. Er hatte es so
ausgedrückt: „Zu Hause ist es langweilig, hier bei Tim immer aufregend.“
Deshalb wohnte er hier.
Tim war wach, hatte die Arme
unter den Kopf geschoben und starrte zur Decke.
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