Todesfracht
Ochotskische Meer seit einem Vierteljahrhundert heimgesucht hatte. Es war das Zusammenströmen von zwei Tiefdruckgebieten, gierige Löcher entstanden in der Atmosphäre, die Luft aus allen Himmelsrichtungen so ansaugten, dass der Wind wie ein Furienchor heulte und die Wellenkämme regelrecht mitgerissen wurden. Der Himmel war ein bedrückender grauer Baldachin, der das Meer bedeckte und nur gelegentlich von grellblauen Blitzen aufgerissen wurde. Die Temperatur war auf fünf Grad gefallen, daher mischte sich Hagel in den Regen, der in breiten Kaskaden auf den Frachter niederprasselte.
Das Schiff stieg auf den höchsten Wellen hoch, angetrieben von seinen Hightech-Maschinen, bis der Bug direkt in die aufgewühlten Wolken zeigte. Sein Bug, der eine breite Lücke in den Wellenkamm pflügte, war von Gischtwolken umweht, die bis zur Höhe des Schornsteins hochgeschleudert wurden. Das Schiff stand fast eine Ewigkeit auf der Welle, den brutalsten Sturmböen ungeschützt ausgesetzt, und dann hob sich sein Heck, während es ins Tal des Brechers tauchte. Dabei verstummten seine Maschinen kurzzeitig, weil kein Wasser mehr durch die Düsen geblasen wurde. Ins Lee der aufbuckelnden Welle verstummte plötzlich das Geheul des Windes, sodass sich eine gespenstische Stille auf dem Schiff ausbreitete. Das Elftausend-Tonnen-Schiff stürzte so tief, dass alles, was die Brückenmannschaft durch die Fenster sehen konnte, ausschließlich die tobende Schwärze des Ozeans war.
Die
Oregon
wühlte sich so in die See, dass ihr Bug bis zu den ersten Ladeklappen eintauchte. Das plötzliche Abbremsen ließ die Beine aller nachgeben und lose hängende Mikrofonkabel klatschend gegen die Decke schlagen. Die magnetohydrodynamischen Maschinen schrien wütend auf, während sie das Schiff durch die Fluten peitschten, wobei ihre brutale Kraft es schaffte, die Wassermassen beiseitezuschieben und den Bug schräg zu stellen. Eine gut einen Meter hohe Welle wusch über das Deck, umspülte die Kräne und donnerte mit genügend Wucht gegen den Decksaufbau, um das gesamte Schiff erzittern zu lassen.
Das Wasser schäumte über die Reling und strömte aus den Speigatts wie aus aufgedrehten Feuerhydranten.
Wenn die letzten Wasserreste endlich abgeflossen waren, begann der Bug seinen mühsamen Aufstieg auf die nächste Welle, und der ganze Kreislauf wiederholte sich.
Zwei Dinge versetzten die
Oregon
in die Lage, im Angesicht des Sturms Höchstgeschwindigkeit beizubehalten: die bemerkenswerte Leistung ihrer Maschinen und der Wille ihres Herrn und Meisters.
Cabrillo hatte sich in seinem Kommandosessel im Operationszentrum angeschnallt. Er trug Jeans, ein schwarzes Sweatshirt und eine Wollmütze. Er hatte sich nicht rasiert, seit sich die
Oregon
in den Sturm geworfen hatte, daher waren seine Wangen und sein Kinn mit dunklen Bartstoppeln übersät. Seine blauen Augen waren von der Erschöpfung und Anspannung rot gerändert, sie hatten ihre raubtierhafte Klarheit aber nicht verloren.
Die leitende Brückencrew hatte Wache, und somit war Eric Stone am Ruder. Die Flachbildschirme seiner Station lieferten ihm einen Panoramablick rund um das Schiff, sodass er die größten Wellen vorausberechnen und sich auf sie vorbereiten konnte. Er konnte so behutsam und gekonnt mit Ruder und Antriebssystem umgehen, dass er mehr Geschwindigkeit aus der
Oregon
herauszuholen vermochte als ihr hochentwickelter Autopilot.
Juan sah ihm zu, wie er das Schiff bediente, wobei er den Geschwindigkeitsmesser über dem Hauptschirm nicht aus den Augen ließ. Ihre Geschwindigkeit im Wasser, die Geschwindigkeit über Grund, und die Drift wurden mit Hilfe eines GPS gemessen, und nur wenn der Frachter in die Wellentäler sackte, verlor er ein wenig an Schwung.
Cabrillo hatte für seine rasende Fahrt ins Ochotskische Meer sämtliche Vorsicht über Bord geworfen. Er versuchte, den rasenden Sturm zu überholen. Der Preis ging an den, der als Erster die Küste erreichte, an der Eddie Seng laut Signal seines Peilsenders gestrandet war. Da der Sturm mit acht Knoten nach Norden zog, waren die
Oregon
und ihre Mannschaft einer zwei Tage andauernden Tortur ausgesetzt gewesen. Juan wollte gar nicht über die Belastung nachdenken, die die Maschinen ertragen mussten, und er erklärte Max Hanley in höflichen Worten, wo er sich seine Missbilligung hinschieben könne.
Er hatte keine andere Wahl, als alle routinemäßigen Wartungsaufgaben auszusetzen, und weil die See zu rau war, um die Küche in Gang zu halten,
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