Todesfracht
waren Juan Cabrillos Augen blau, und sein widerspenstiges Haar war nach einer Jugend, die er praktisch ausschließlich in der Sonne und auf dem Surfbrett verbracht hatte, weißblond geworden. Auch sein Gesicht ließ eher auf eine englische Herkunft als auf einen Latino schließen. Die Nase konnte man nur als aristokratisch bezeichnen, und um seinen Mund spielte ständig ein Lächeln, als amüsierte er sich über einen Scherz, den nur er verstand. Aber da war auch eine harte Seite an Cabrillo, die sich in den Jahren im Angesicht der Gefahr mehr und mehr verfestigt hatte. Während er sie sehr gut zu kaschieren wusste, konnten Leute, die zum ersten Mal mit ihm zusammentrafen, eine nicht näher zu definierende Ausstrahlung an ihm wahrnehmen, die ihnen uneingeschränkten Respekt vor ihm abnötigte.
Linda Ross, die soeben in den Rang einer stellvertretenden Vorsitzenden erhobene Chefin des Bereichs Sicherheit und Überwachung, trat mit einem Klemmbrett vor der Brust durch die Tür. Linda war ebenfalls eine Marineveteranin. Sie hatte als Nachrichtenoffizier an Bord eines Kreuzers in der Ägäis gedient und anschließend im Pentagon gearbeitet. Topfit und sportlich, zeichnete sich Linda durch ein ausgesprochen freundliches und umgängliches Auftreten und einen rasiermesserscharfen Verstand aus. Als Richard Truitt, der ehemalige stellvertretende Vorsitzende der Corporation, nach der Todesschrein-Affäre seinen Abschied genommen hatte, war es für Cabrillo und Hanley sofort klar gewesen, dass Linda die Einzige war, die jene Lücke schließen konnte, die Dicks Abgang geschaffen hatte.
Sie blieb an der Tür stehen, gebannt von dem Anblick Juans, der soeben sein künstliches rechtes Bein justierte und das Hosenbein hinunterstreifte. Er schlüpfte in ein Paar italienischer Bootsschuhe im Mokassinstil. Es war nicht so, dass sie über die Prothese nicht genau Bescheid wusste, aber immer war es ein kleiner Schock, sie zu sehen. Cabrillo schien niemals dadurch behindert zu werden, dass ihm vom Knie ab ein Bein fehlte.
Cabrillo blickte nicht hoch, während er berichtete. »Auf der
Asia Star
hat ein nordkoreanischer Wächter das Bein gegen eine Reling geschmettert und die Plastikumhüllung beschädigt. Er war zutiefst verblüfft, als ich dann mit einem, wie er glaubte, gebrochenen Unterschenkel weiterkämpfte.«
»Du hast gerade die nordkoreanische Propaganda bestätigt«, sagte Linda mit einem verhaltenen Kichern.
»Wie das denn?«
»Dass wir Amerikaner die Roboter unserer imperialistischen Regierung sind.«
Sie lachten schallend. »Also was ist passiert, seit wir nach Afghanistan aufgebrochen sind?«, fragte er.
»Erinnerst du dich noch an Hiroshi Katsui?«
Cabrillo brauchte einen kurzen Moment, um den Namen einzuordnen. »Hiro? Mein Gott, an den habe ich seit der UCLA nicht mehr gedacht. Sein Vater war der erste Milliardär, den ich persönlich kennenlernen durfte. Eine bedeutende Reederfamilie. Hiro war der Einzige auf dem Campus, der einen Lamborghini fuhr. Eins muss ich ihm allerdings lassen: Der Reichtum ist ihm niemals zu Kopfe gestiegen. Er war immer bescheiden und großzügig.«
»Er hat sich als Repräsentant eines Konsortiums von Schiffseignern in diesen Gewässern an uns gewandt. In den vergangenen zehn Monaten hat das Piratenunwesen vom Japanischen Meer bis hinunter zum Südchinesischen Meer stetig zugenommen.«
»Das ist ein Problem, dem man gewöhnlich nur in Küstengewässern und in der Straße von Malakka begegnet«, unterbrach Cabrillo sie.
»Wo Eingeborene in kleinen Booten Jachten angreifen oder Frachtschiffe entern, um mitzunehmen, was immer sie tragen können«, pflichtete Linda ihm bei. »Es ist aufs Jahr betrachtet ein Milliardengeschäft und wächst weiter. Aber was in Malaysia und Indonesien geschieht, ist nicht mehr als das Bestehlen alter gebrechlicher Frauen in dunklen Gassen, verglichen mit dem, was weiter oben im Norden los ist.«
Cabrillo ging zu seinem Schreibtisch und nahm eine Zigarre aus einer mit Intarsien verzierten Kiste. Er hörte Linda Ross zu, während er die erlesene kubanische Zigarre präparierte und mit einem mit Onyx besetzten goldenen Dunhill-Feuerzeug anzündete.
»Was dein Freund Hiro berichtet, klingt eher nach den schlimmen alten Zeiten, als sich die Mafia einen Sport daraus machte, am Kennedy Airport Lastwagenzüge zu klauen. Die Piraten sind bestens bewaffnet, sehr gut ausgebildet und hochmotiviert. Außerdem sind sie brutal wie die Hölle. Vier Schiffe sind bis jetzt
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