Todesfracht
einem Dutzend Nymphen verziert war, die aus kunstvoll geformten Gefäßen Wasser ins funkelnde Brunnenbecken schütteten.
Um das Haupthaus herum waren mehrere Außengebäude angeordnet, sodass das Anwesen aussah, als wäre es früher einmal ein bewirtschafteter Bauernhof gewesen. Auf den Alpenwiesen ringsum sorgten braune Jerseykühe mit bronzenen Glocken dafür, dass das Gras stets kurz geschoren blieb und der Boden ausreichend gedüngt wurde.
Sieben dunkle Limousinen waren auf einem Parkplatz neben der Garage aufgereiht, und dahinter erstreckte sich ein mit Zäunen abgetrenntes Feld, auf dem zwei Aerospatiale-GazelleHelikopter standen. Ihre Piloten saßen im Cockpit eines der Firmenhelikopter und tranken aus einer Thermosflasche Kaffee.
Das Gipfeltreffen der europäischen Finanzminister in Zürich weckte nur wenig Medieninteresse, da von dieser Versammlung keine weltbewegenden Ergebnisse zu erwarten waren. Jedoch lieferte sie für die Männer, die im Chateau zusammentrafen, einen Vorwand, um sich zur selben Zeit in derselben Stadt aufhalten zu können. Sie versammelten sich im großen Saal des Herrensitzes, einem zwei Stockwerke hohen eichengetäfelten Raum, der mit Eber- und Hirschköpfen sowie Alphörnern dekoriert war, die überkreuz an der Wand über dem mannshohen offenen Kamin befestigt waren.
Da die Schweiz eines der bedeutendsten Bankzentren der Welt ist, konnte es kaum verwundern, dass die fünfzehn Männer mit einer Ausnahme einige der größten Banken in Europa und Amerika repräsentierten.
Am Kopfende des Tisches saß Bernhard Volkmann. In einem strengen Haushalt, dem sein Vater, ebenfalls Bankier, vorgestanden hatte, katholisch erzogen, hatte Volkmann seine Religion schon sehr früh in seinem Leben gegen eine andere – nämlich Reichtum – eingetauscht. Zahlungsmittel waren seine Götter, Bargeld die Abendmahlsgabe. Er war ein Hohepriester in der Finanzwelt, wegen seines bedingungslosen Engagements respektiert und wegen seines untrüglichen Instinkts ein wenig gefürchtet. Jede Handlung an jedem Tag galt ausschließlich der Anhäufung von mehr Geld, und zwar sowohl für seine Bank als auch für ihn selbst. Volkmann hatte eine Ehefrau, weil dies von ihm erwartet wurde, und drei Kinder, weil er es sich erlaubt hatte, bei einem halben Dutzend Gelegenheiten mit ihr zu schlafen.
Er betrachtete sie als eine notwendige Ablenkung von seinem Berufsleben, konnte sich jedoch an keinen ihrer Geburtstage erinnern oder auch, wann er das letzte Mal seinen Jüngsten gesehen hatte, einen zwanzigjährigen Studenten, der, wie er annahm, an der Sorbonne studierte.
Volkmann betrat sein Büro in Zürichs Bahnhof Straße jeden Morgen um sechs Uhr und verließ es um acht Uhr abends. Diese Routine änderte er an Sonn- und Feiertagen nur ungern, wenn er mindestens zwölf Stunden am Tag zu Hause arbeitete. Volkmann trank und rauchte nicht und wäre genauso wenig in einem Spielkasino anzutreffen gewesen, wie ein Muslim Schweinehirt würde. Sechzig Jahre alt und dickbäuchig, war er nahezu gänzlich grau geworden. Seine Haut hatte die gleiche verwaschene Farbe wie sein Haar, und die Augen hinter seinen Brillengläsern wiesen die Farbe von Spülwasser auf. Er hatte sogar die Angewohnheit, ausschließlich graue Anzüge zu tragen, und obgleich seine Oberhemden weiß waren, nahmen sie unweigerlich schon nach kurzer Zeit die gleiche graue Schattierung an, die seine ganze äußere Erscheinung auszeichnete.
Diejenigen, die für ihn arbeiteten, hatten Volkmann noch nie lächeln und erst recht nicht lachen gesehen, und nur eine bedeutende finanzielle Umwälzung würde bei ihm allenfalls ein leichtes, nach unten gerichtetes Zucken der Mundwinkel hervorrufen.
In seiner Gegenwart befanden sich genauso ernste Männer, deren Engagement für Geld nicht weniger ausgeprägt war. Sie waren Präsidenten der Banken, deren Entscheidungen Milliarden von Dollars bewegten und Millionen von Leben beeinflussten. Und heute waren sie zusammengekommen, weil die Grundlage der Weltwirtschaft im Begriff war zu zerfallen.
Vor Bernhard Volkmann auf dem Tisch bedeckte ein schlichtes schwarzes Tuch ein kleines rechteckiges Objekt. Als sich die Männer rund um den Tisch niedergelassen hatten, Mineralwasser eingeschenkt war und die Helfer sich zurückgezogen hatten, streckte Volkmann die Hand aus und zog das Tuch weg.
Die Bankiers und ihr Gast gehörten zu einer Handvoll Menschen auf der Welt, die auf das Objekt auf dem Tisch niemals wahrnehmbar reagieren
Weitere Kostenlose Bücher