Todesfracht
weiterhin sinkend befand. Es war erstaunlich, dass Tory nicht schon vor Tagen in einen Zustand totaler Katatonie verfallen war. Sie war verängstigt, erheblich unterkühlt und jetzt auch noch triefnass. Hatte sie noch die Kraft und den Willen, zum Vorraum zu gelangen und daran zu denken, den Raum zum restlichen Schiff hin abzusperren?
Cabrillo hatte seine Zweifel. Aber es gab keinen anderen Weg. Ihre Kabinentür wäre geborsten und hätte das Schiff geflutet, wenn sie sich mit einem Schneidbrenner Zugang zu dem Raum verschafft hätten. Sie wäre längst ertrunken, ehe sie eine Öffnung hätten schaffen können, die groß genug gewesen wäre, um ihr das Atemventil hineinzureichen. Nein, dachte er, das war wirklich der einzige Plan, der Erfolg versprach.
Mit seiner Lampe klopfte er immer wieder den Rhythmus gegen die Tür. Dann glaubte er, aus dem Schiffsinnern etwas zu hören. Er trommelte abermals »Shave and a Haircut«, zog die Kapuze seines Nasstauchanzugs herunter und presste ein Ohr gegen die Tür.
Da. Die unmissverständliche Antwort. Tap tap. Zweimal. Sie hatte es geschafft.
Er griff in den Werkzeugkorb, den er von der
Oregon
angefordert hatte. Zuerst vergewisserte er sich, dass die Reserveluftflaschen einsatzbereit waren. Als Nächstes kam der Bohrer, der von zwei Druckluftflaschen angetrieben wurde, die unter dem Maschendrahtbehälter befestigt und mit einem langen Schlauch versehen waren. Die Bohrspitze war mit einem Spezialverfahren gehärtet und würde sich bei der hohen Drehzahl, erzeugt durch die Luftflaschen, innerhalb von Sekunden durch das Schott fressen. Cabrillo blickte sich um. Die Taucher am Heck hatten es offenbar endlich geschafft, das Kabel an der
Avalon
zu befestigen. Zwei schwammen zum Bug, um sich dort nützlich zu machen, und zwei kamen zu ihm, um ihm zu helfen.
Cabrillo stemmte den Rücken gegen den schweren Korb, setzte den Bohrer am unteren Rand der Tür an und schaltete ihn ein. Das durchdringende Heulen hatte eine Wirkung, als stünde man auf einem Zahn, während sich der Zahnarzt an eine besonders hässliche Höhlung heranarbeitete. Das Geräusch jagte ihm Dolche in die Ohren, deren Spitzen sich in der Mitte seines Kopfes mit einem betäubenden Schmerz trafen. Er ignorierte ihn und schaute zu, wie sich silbrig glänzende Metallfäden von der Bohrerspitze wegkräuselten. In wenigen Sekunden hatte der Bohrer die Tür überwunden, und Cabrillo zog die Bohrmaschine behutsam zurück. Wasser und Metallsplitter wurden in das Schiff hineingesogen. Er kannte die Dimensionen des Vorraums nicht und konnte nicht abschätzen, wie lange es dauern würde, bis er sich gefüllt hätte. Daher blieb ihm nur abzuwarten, bis der Druck sich genügend ausgeglichen hatte, um die Tür zu öffnen.
Mit einer Brechstange schickte er Tory ein Klopfsignal, um ihr mitzuteilen, dass er zur Stelle war. Ihre Antwort erfolgte sofort und ziemlich laut. Sie hatte wohl nicht erwartet, dass sie auf diese Art und Weise gerettet werden sollte.
Nach vier Minuten zog Juan mit der Brechstange an der Tür, doch sie blieb dicht verschlossen, daher bohrte er zwei weitere Löcher und versuchte sein Glück im Minutenabstand mit dem gleichen Ergebnis. Er war schon im Begriff, noch mehr Löcher zu bohren, um die Operation zu beschleunigen, als etwas geschah.
Eine plötzliche Explosion von Luftblasen fand vor dem Decksaufbau statt. Die Lüftungsklappe im vorderen Frachtraum hatte den Geist aufgegeben, und Tausende Liter Wasser strömten in das todgeweihte Schiff. Der schnelle Druckanstieg hatte ein Inspektionsschott auf dem Hauptfrachtschott aufgesprengt.
Die sechs Taucher, die am Bug gearbeitet hatten, erschienen über der gedrungenen Form der
Avalon
und kämpften sich durch das Gewimmel von Luftblasen und das ins Schiff strömende Wasser. Einer von ihnen machte eine schneidende Bewegung vor seinem Hals, sobald er sich innerhalb des Lichtkreises der Unterwasserscheinwerfer befand. Sie hatten es nicht geschafft, auch die vordere Seilschlinge anzubringen.
Nach wenigen Sekunden begann die
Avalon
sich auf den Kopf zu stellen und zu sinken. Und dann rollte sie nach Backbord. Die Taucher hatten lediglich die Steuerbordseite der Schlinge sichern können. Die
Avalon
wurde jetzt von drei Seilen gehalten, zwei an achtern, eins vorne. Ein paar Sekunden lang schien sich das Schiff zu stabilisieren, doch seine schräge Lage ließ zu, dass auch an anderen Stellen Wasser eindrang. Die Kranführer auf der
Oregon
, zweifellos von Max mit
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