Todesfracht
einengen.«
»Tut mir leid. Die fünfzehn Piraten, die ich hier auf Eis liegen habe, sind ein veritabler UN-Querschnitt. Dieser hier sieht aus wie ein Thai oder ein Vietnamese. Drei andere sind entweder Chinesen oder Koreaner, zwei sind Kaukasier, die anderen kommen aus Indonesien, von den Philippinen oder sonst woher.«
»Na toll«, meinte Juan säuerlich. »Wir haben also das Glück, es mit einer Bande politisch korrekter Piraten zu tun zu haben, die das Prinzip ethnischer Vielfalt vertreten. Sonst noch was?«
»Das ist alles, was ich bis jetzt sagen kann. Ich brauche noch ein paar Tage, um alle notwendigen Untersuchungen durchzuführen.«
»Wie geht es deinem anderen Patienten?«
»Sie schläft. Oder zumindest tut sie so als ob, damit sie nicht mit mir reden muss. Ich habe das Gefühl, sie möchte diesen Kahn so schnell wie möglich hinter sich lassen.«
»Warum überrascht mich das nicht? Danke, Hux.«
Juan war kaum in seine Kabine zurückgekehrt und hatte sich zum Mittagessen ein Steak und eine Portion Nierenpastete bestellt, als Mark Murphy an seine Tür klopfte. »Was hast du für mich, Murph?«
»Ich glaube, ich habe das Schiff gefunden.«
»Setz dich. Was ist es denn, ein Flugzeugträger oder ein Containerschiff?«
»Keins von beiden.« Mark reichte ihm einen dünnen Schnellhefter. Darin befand sich eine einzige Fotografie und eine kurze Beschreibung.
Juan warf einen Blick auf das Foto und schaute Murphy fragend an. »Bist du sicher?«
»Der Kasten ist unterwegs von Taiwan nach Oratu in Japan, wo er eingesetzt wurde, um einen panamesischen Tanker zu reparieren, der während eines Unwetters einen Schaden an seiner Schraube davongetragen hat.«
Juan betrachtete wieder das Foto. Das Schiff war etwa 270 Meter lang und 80 Meter breit. Genauso wie Tory es beschrieben hatte, war es rechteckig, ohne einen Vorbau an Bug oder Heck und ohne einen Aufbau auf dem Deck, der sein flaches Profil gestört hätte. Juan las, was Mark über das seltsame Schiff in Erfahrung gebracht hatte. Es war das viertgrößte schwimmende Trockendock der Welt. In Russland erbaut, um große U-Boote der Oscar-II-Klasse wie die unglückselige
Kursk
zu warten, war es vor einem Jahr an eine deutsche Bergungsfirma verkauft worden. Mittlerweile gehörte es jedoch einer indonesischen Reederei, die es wie eine mobile Abwrackstation vermietete.
Juans Puls beschleunigte sich.
Ein Trockendock einzusetzen, um ein ganzes Schiff auf hoher See zu entführen, zeugte von hohem Einfallsreichtum, war jedoch im Hinblick auf die sich daraus ergebenden Möglichkeiten beängstigend. Seine Befürchtung bezüglich eines Anführers, der die Piraten des Pazifiks zu einer straff organisierten Gruppe vereinte, könnte nur die Spitze des Eisbergs sein. Mit einem Trockendock von diesen Ausmaßen konnten sie praktisch jedes Schiff einsacken, nach dem ihnen der Sinn stand.
Er malte sich aus, wie sie zu Werke gehen mochten. Zuerst würde ein Trupp Piraten das ausgemachte Opfer entern, um die Besatzung auszuschalten. Dann würden sie das besetzte Schiff zu einem Treffpunkt mit dem Trockendock bringen. Im Schutz der Nacht und nur wenn die Wetterbedingungen günstig waren – denn es wäre ein heikles Manöver –, würde das Trockendock Ballast aufnehmen, um so tief zu sinken, dass der Boden seiner offenen Kammer tiefer läge als der Kiel des entführten Schiffs.
Mit großen Winden am Heck des Trockendocks würde das Schiff dann in das Trockenbecken hineingezogen werden. Die Bugtore würde man schließen, der Ballast würde abgepumpt, und die Verbrecher, die das Trockendock schleppten, würden ihren Weg fortsetzen. Ohne direkten Sichtkontakt – zum Beispiel aus einem Flugzeug – würde niemand wissen, dass sich innerhalb des Trockendocks die Beute der wohl dreistesten Piratenorganisation aller Zeiten befand.
»Ganz schön raffiniert, nicht wahr, Chef?«
»Das kann man wohl sagen.«
»Sie kommen an und verschlucken ihr Opfer.« Mark stellte, während er sprach, den Vorgang pantomimisch dar. »Schaffen es zu ihrer geheimen Basis. Und dort hätten sie alle Zeit der Welt, um die Fracht zu löschen, ehe sie das Schiff in seine Einzelteile zerlegen. Anstatt ihre Beute zu hetzen wie ein Rudel Hyänen, schlagen diese Typen wie Löwen zu.«
»Warum sollen sie das Schiff zerlegen?«, überlegte Cabrillo laut. »Warum bringen sie nicht einfach einige Veränderungen an, beseitigen bestimmte Erkennungsmerkmale, pinseln einen neuen Namen ans Heck und verkaufen es oder
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